Wie geht die sozialökologische Transformation voran? Oder wie nicht?
6.6.23 Die Zukunft der Landwirtschaft ist schon da! Besuch im Gemüsegarten Hoxhohl
Otto Merkel
Am Sonntag (4.6.23) war ich bei einem Gartennachmittag im Gemüsegarten Hoxhohl von Vivian Glover. Meine Frau und ich sind seit Frühjahr 2018 bei dieser Solidarischen Landwirtschaft dabei.
Solidarische Landwirtschaft bedeutet, dass man einen Anteil abonniert hat. Man zahlt einen festen Betrag für ein Jahr und holt jede Woche in einem Depot ab, was es eben in dieser Woche zu ernten gibt: Qualitativ sehr gutes und frisches Gemüse und Salat, sicherlich nicht das billigste, manchmal auch krumme Rüben, mit denen man mehr Arbeit hat. Und man muss bereit sein für saisonale Kost. Eine solidarische Landwirtschaft stellt eine Verbindung zwischen Verbrauchern und einem Erzeugerbetrieb her, bei dem die Kunden der Erzeugerin quasi das Risiko abnehmen, wenn mal was schlecht gedeiht. Manchmal gedeiht es auch im Überfluss.
Vivian Glover war eine der ersten, die in Deutschland nach der „Market Gardening“- Methode anfing. Dabei wird sehr eng gepflanzt, was gut zusammenpasst, so dass fast nie die nackte Erde daliegt. Der Grund ist, dass damit das Bodenleben permanent gefüttert wird und sich damit immer mehr verbessert. Dies wird unterstützt durch Kompost. Sie bekommen guten Kompost aus Heckenschnitt – und auch davon die beste Qualität. Die Anbauweise ist sehr ausgeklügelt, was den Fruchtwechsel angeht, damit die Beete fast immer mit Pflanzen bepflanzt sind, zwischendurch auch mit Gründüngung. Es wird fast alles „händisch“ und mit einfachen, aber doch sehr sinnvollen Geräten gemacht.
Der Gemüsegarten Hoxhohl ist biozertifiziert, aber die Anbaumethode nennt sich auch „regenerativ“, weil sie noch über die Biozertifizierung hinaus darauf ausgerichtet ist, das Bodenleben immer weiter zu fördern, Humus aufzubauen und damit auch CO2 zu speichern.
Vivian Glover hat auch die Erlaubnis, Praktikanten auszubilden. Sie ist meiner Ansicht nach eine hervorragende Expertin und kann das, was sie macht, sehr fundiert beschreiben. Sie kann locker während der Gartenführung einen kleinen Vortrag über die Mikrobiologie des Bodenlebens aus dem Ärmel schütteln! Auch wenn man nicht alles so ganz begreift, erhält man eine Ahnung, wie grundlegend sich diese Anbauweise von der konventionellen Landwirtschaft unterscheidet. Hier wird das Bodenleben gefördert und gefüttert und dies ergibt starke und gesunde Pflanzen. In der konventionellen Landwirtschaft wird die Pflanze mit (chemisch hergestellten) Dünger gefüttert und das Bodenleben ignoriert oder sogar immer mehr platt gemacht („Bodendegradation“).
Bei einer solchen ausgeprägten Fruchtfolge braucht man keinen mineralischen Stickstoffdünger und die Chemieindustrie könnte ihre mit wahnsinnig viel fossilem Gas betriebenen Anlagen, mit denen sie den Grundstoff für Stickstoffdünger herstellen, getrost abschalten!
Wenn man einfach so hinguckt, sieht man bei Vivian auch viel Plastik auf den Beeten und man sieht 4 Folientunnel. Die Folientunnel bieten im Ergebnis für uns Konsumenten Tomaten, Paprika, Auberginen, Gurken und anderes Gemüse mit größerer Sicherheit und länger andauernd und den ganzen Winter über frischen Salat. Netze schützen z.B. den Kohl vor Schädlingen. Und schwarze Folie wird genutzt, um aus Grasland Beete zu machen, ohne die Erde umpflügen zu müssen. Es hat somit alles spezielle Gründe.
Zum Glück hat sie einen eigenen Brunnen, eine solarbetriebene Pumpe und jetzt neuerdings eine halbautomatische Verteilung des Wassers mit der sparsamen Tröpfchenbewässerung. (Nicht die Einmalschläuche, die die Spargelbauern im Ried benutzen, die dann jedes Mal weggeschmissen werden).
Vivian hat auch Angestellte und Praktikant:innen – sie sind zusammen 5 Personen – aber es ist ein himmelweiter Unterschied zu den Großbetrieben im Ried, die massenweise schlecht bezahlte Arbeiter:innen aus östlichen Ländern beschäftigen! Und sie versucht auch soziale Gesichtspunkte zu erreichen, dass auch Urlaub im Sommer möglich ist – im Unterschied zu vielen traditionellen Landwirten (früher oder heute immer noch?).
Das alles zusammen ist – finde ich – eine zukunftsfähige Landwirtschaft! Und sie ist schon da, man kann sie anschauen, sich als Verbraucher davon ernähren und sie funktioniert!
Leserbrief von Otto Merkel zu

Enttäuschend
Es gibt ja viel Skepsis in der Bevölkerung, was man von Politikern positiv erwarten kann. Auch bei Menschen, die verstanden haben, dass man wegen der fortlaufenden Klimaveränderung wirklich sehr entschieden umsteuern muss. Schon schlimm genug, dass die Berliner Koalition die verrückte Entscheidung getroffen hat, viele Autobahnausbauprojekte, auch den 6-spurigen Ausbau der A 67 zwischen Darmstadt und Lorsch, zu „beschleunigen“. Und jetzt hat der grüne hessische Verkehrsminister dem auch noch zugestimmt! Wir müssen doch den Individualverkehr reduzieren und auf den öffentlichen Verkehr verlagern. Und den Güterverkehr auf die Schiene und ihn überhaupt reduzieren durch mehr regionalisierte Wirtschaftskreisläufe. Und hier soll mit immensen Kosten und großflächiger Waldzerstörung und dazu noch „beschleunigt“ die Autobahn ausgebaut werden – also genau in die falsche Richtung! Die Schnellbahntrasse demgegenüber, die natürlich ebenfalls viel Wald- und Naturzerstörung mit sich bringt und immens viel kostet, ist hinzunehmen, weil sie die notwendige Priorisierung der Bahn unterstützt.
Ich bin sehr entschieden der Meinung, dass Wahlen wichtig sind und dass man sich die Mühe machen sollte, auch kleine Unterschiede bei den Parteien zu beachten für seine eigenen Wahlentscheidung. Das wäre doch vielleicht ein Grund gewesen, bei der Landtagswahl Grüne zu wählen, wenn Al-Wazir wenigstens diesen „beschleunigten“ Ausbau abgelehnt hätte! Das Projekt ist ja sowieso noch unter „Vordringlicher Bedarf“ eingestuft. Aber selbst diese Unterscheidungsmöglichkeit von grüner und schwarzer Politik wird verwischt. Enttäuschend!
25.4.23
Leserbrief zu
„Müllwagen und Busse sind an der Bergstraße die ersten Fahrzeuge mit Wasserstoff-Antrieb“
BA vom 20.4.23

Sand in die Augen streuen
Durch meine frühere berufliche Arbeit habe ich die Konfusionstechnik als eine Methode der Hypnotherapie kennengelernt. Manche Therapeuten wenden diese Methode bei Patienten an, die durch ihr bewusstes Denken sich andauernd im Wege stehen, wichtige persönliche Veränderungen zu erreichen. Der Therapeut spricht dabei in einer Weise, dass der Patient im Kopf durcheinanderkommt, damit auf diese Weise Raum geschaffen wird, dass seine unbewussten Anteile Veränderungen erreichen können. Ich bin kein Freund dieser Methode. Sie trägt ein Risiko, gegen Patienten eingesetzt zu werden.
In der politischen Kommunikation halte ich eine solche Methode für fatal. Und genau solch eine Kommunikation stellt dieser Artikel in hervorragender Weise dar.
Es werden ganz viele offensichtlich tolle und gute Programme, Maßnahmen, Vernetzungen oder Entwicklungen beschrieben, um, so kommt es mir vor, davon abzulenken, dass man über den entscheidenden Punkt nichts sagt. Der entscheidende Punkt ist doch: Welche erneuerbare Energie kann denn hier im Kreis verwendet werden, um grünen Wasserstoff herzustellen? Bundesweit wird ja erst knapp die Hälfte des Stroms mit Erneuerbaren erzeugt, in unserem Landkreis ist es noch weniger. Klar, die Erneuerbaren bringen je nach Wetter mehr oder weniger Strom. Wenn wir hier viele Windräder hätten wie in Schleswig-Holstein und es würde ein kräftiger Wind wehen, hätten wir Strom im „Überfluss“, den man gut in grünen Wasserstoff umwandeln könnte. Haben wir aber hier nicht. Und unsere Kreispolitik fällt auch nicht gerade dadurch auf, sich couragiert für mehr Windkraft einzusetzen. Mit welcher Energie wird also der Wasserstoff herbeigezaubert?
Erstmal müssen die Erneuerbaren, auch bei uns, viel schneller ausgebaut werden, damit der laufend verwendete Strom nicht mehr mit fossilem Brennstoff hergestellt werden muss. Erst dann wird Wasserstoff wichtig. Es ist doch bekannt, dass dessen Herstellung mit großen Energieverlusten einhergeht. Folglich sollte er nur dort benutzt werden, wo es direkt mit Strom wirklich nicht geht.
Wie kommt man dazu, den Wasserstoff derart in den Vordergrund zu stellen? Ich vermute, es gibt alle möglichen Förderprogramme und man hofft, vor allem in der Zukunft das große Geschäft damit zu machen. Und es gibt viele in die Hochtechnologie verliebte Menschen, die sich vielleicht selbst von diesen tollen Innovationen den Kopf verdrehen lassen.
Den Wasserstoff so in den Vordergrund zu stellen, bedeutet, die Energiewende am Schwanz aufzuzäumen und den Leuten Sand in die Augen zu streuen, damit sie das nicht merken.
4.1.23
Zukunft entwerfen und gestalten
Ein fiktives Interview von und mit Otto Merkel
In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift FUTURZWEI erschien ein Gespräch mit dem Soziologen Hartmut Rosa zum Thema „Zukunft ist gerade nicht zu sehen“.
Ich war davon enttäuscht und schrieb eine Kritik in Form eines fiktiven Interviews mit mir selbst, quasi als Alternative zu dem Gespräch mit Hartmut Rosa.
Interviewer: Wie ist die Zukunft heute anders als in der Vergangenheit?
OM: Die Zukunft muss heute stärker subjektiv entworfen werden. Gesellschaftliche Großorganisationen mit ihren Prägungen und den oft selbstverständlichen Gemeinsamkeiten zerbröseln tendenziell zugunsten einer erlebten Individualität. Das ist nachteilig für gemeinsames politisches Handeln. Andererseits entstehen Möglichkeiten, Zukunft stärker subjektiv zu entwerfen.
Interviewer: Wird dadurch Zukunft nicht zu etwas Beliebigem?
OM: Mag sein. Mir geht es hier nicht um Zukunft allgemein, sondern darum, wie Menschen in unserer Gesellschaft möglichst gut die notwendige sozialökologische Transformation vorantreiben können. Damit beziehe ich mich mit meinen Aussagen auf diejenigen, die – zumindest ungefähr – in diese Richtung wollen.
Interviewer: Das klingt aber sehr vage!
OM: Ja, absichtlich, weil ich damit sehr viele Menschen und Tendenzen in unserer Gesellschaft miteinschließen möchte, Menschen, die untereinander sich vielleicht gar nicht als solche ansehen, die dasselbe wollen. Aber Menschen, die irgendwie sehen oder spüren, dass unsere Gesellschaft sich grundlegend verändern muss, um die Erderhitzung zu stoppen und die Natur zu erhalten. Auch wenn sie im Detail unsicher oder orientierungslos sind oder bewusst in durchaus unterschiedlicher Weise unterwegs sind. Ich schlage vor, in diesem Sinne eine Gemeinsamkeit anzunehmen.
Interviewer: Was kann ich mir darunter konkreter vorstellen?
OM: Es gibt zum Beispiel sehr konservative, ältere Menschen, die sich als sehr konsequente Naturschützer verstehen, sparsam leben, in einem Naturschutzverband aktiv sind, denen es weh tut, wenn Bäume gefällt werden, um eine Straße oder Häuser oder Fabrikhallen zu bauen und die bei solchen Konflikten auch aktiv sind. Sie kämpfen aus dieser Einstellung heraus auch gegen Windräder, deren Notwendigkeit ihnen nicht so wichtig ist oder die sie vor allem keinesfalls im Wald haben wollen. Und es gibt auf der anderen Seite Menschen, die sind begeistert von den technischen Innovationen und der Effizienz von Solaranlagen, E-Autos u. ä. und betrachten die notwendigen Maßnahmen gegen die Erderhitzung vor allem als technisch-ökonomische Disruption. Und wieder andere sehen ihre Aufgabe vor allem darin, Menschen durch drastische und aufsehenerregende Aktionen aufzurütteln. Und dazwischen sehe ich vor allem sehr viele Menschen, die irgendwie ahnen, dass sich etwas verändern muss, die aber sehr unsicher darüber sind, was genau und was sie dazu beitragen könnten.
Und alle diese Menschen haben im Einzelnen sicher durchaus unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft. Aber ich gehe davon aus, dass sie grob in dieselbe Richtung tendieren.
Interviewer: Und was ist mit denen, die überhaupt nicht mehr an eine positive Zukunft glauben können?
Nun, da möchte ich Anleihen machen bei einem psychotherapeutischen Ansatz, den ich glücklicherweise kennenlernen und in meinem Berufsleben praktizieren konnte, dem lösungsfokussierten Ansatz. Da gibt es Kollegen, die empfehlen, – ich spreche jetzt von der Therapiesituation – Klienten gleich am Anfang zu fragen: „Was ist Ihre größte Hoffnung, was sich aus unserem heutigen Gespräch ergeben sollte?“. In dieser Frage stecken mehrere Aspekte drin. Zum einen, dass der Klient bestimmt, wohin es gehen soll – (und nicht der Therapeut oder Berater). Zum anderen wird der Klient eingeladen, seine größte oder auch tiefste oder zentralste Hoffnung zu formulieren, also etwas, was ihn existentiell betrifft. Und er wird in einer Weise gefragt, wie wenn es ihm möglich wäre, diese Frage in einer relativen Unabhängigkeit von seinen gegenwärtigen Problemen und damit verbundenen Leiden zu beantworten. Damit wird eine Grenze gezogen zwischen der zurzeit von ihm erlebten Welt und der von ihm angestrebten Zukunft.
Interviewer: Das wirkt aber wenig realistisch. Problembeladene Menschen sind doch meist durch ihre Probleme so geprägt, dass sie so eine Frage doch gar nicht beantworten können. Und ins Politische übersetzt: Daran kranken doch alle revolutionären Veränderungen oder andere tiefgreifende gesellschaftliche Reformen, dass sie das alte Schlechte auch in die Zukunft mitschleppen.
OM: Genau deshalb finde ich die Frage nach einer Welt auf der anderen Seite dieser Grenze so wichtig. Und der Frage nach der größten Hoffnung folgt in einem Manual dieses lösungsfokussierten Ansatzes die weitere Frage danach, wie diese wünschenswerte bessere Zukunft im Detail aussehen könnte. Natürlich gelingt es Klienten oft nur beschränkt, sich dies vorzustellen. So antwortete mir einmal eine Mutter: „(in einem ruhigen, entspannten Tonfall) Dann wäre es morgens ruhig – (und in einem genervten, ärgerlichen Tonfall) und nicht gleich so ein Geschrei, wie es jetzt immer ist.“ Dann muss man als Berater eben dabeibleiben: „Und wenn es morgens so ruhig ist, was ist dann noch?“ Solche Fragen sind immer Einladungen. Inwieweit andere Menschen diesen Einladungen folgen, sieht man. Ähnlich hat schon der Zukunftsforscher Robert Jungk vor Jahrzehnten seine Zukunftswerkstätten konzipiert und ausdrücklich nach dem Zusammenfinden der Gruppe und dem Äußern von Beschwerden als Phase 2 Phantasie/Utopie vorgeschlagen, in der die Kreativität jedes einzelnen gefragt ist. Man soll das Utopische denken. Ein Anfangssatz wäre z. B.: „Es wäre schön, wenn …“
Interviewer: Nun gehen wir mal davon aus, dass dies gelingt. Dann fantasieren sich die Menschen eine schöne, idyllische Zukunft. Wenn sie dann wieder in ihren Alltag zurückkommen, stürzen sie dann vollends ab.
OM: Ich möchte erneut eine Anleihe aus diesem Therapiekonzept machen. Dann fragt der Therapeut: „Gab es in letzter Zeit etwas in ihrem Leben, was ein wenig ein Beispiel sein könnte für das, was sie sich für die Zukunft vorstellen?“ Das ist natürlich ebenso wieder eine Frage, die Menschen oft schwer beantworten können. Man muss ihnen Zeit geben, darüber nachzudenken. Vielleicht kommt da nur etwas furchtbar Kleines und Mickriges zum Vorschein. Etwas, „das nicht der Rede wert ist.“ Dann ist es die Aufgabe des Therapeuten, sehr interessiert nach vielen Details zu fragen und nahezulegen, dass dieser mickrige Krümel vielleicht ein wertvoller Goldkrümel ist. Und im weiteren Gesprächsverlauf gemeinsam danach zu suchen, ob sich aus dieser oder weiteren Erfahrungen vielleicht etwas lernen lässt, um den nächsten Schritt zu der erwünschten Zukunft herauszufinden.
Interviewer: Ist das nicht ein wenig lächerlich? Wollen sie etwa dieses Modell hier verkaufen als eines, mit dem eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung erreicht werden kann?
OM: Bezogen auf gesellschaftliche Veränderung muss diese „Modell“ natürlich noch angereichert werden. Es wäre zum Beispiel sehr hilfreich, wenn Sozialwissenschaftler mehr Beschreibungen oder Analysen über gelungene oder teilweise gelungene Bewegungen oder gar gesellschaftliche Veränderungen zur Verfügung stellen würden, auf die man zurückgreifen kann. Dies scheint offensichtlich sehr schwierig zu sein oder nicht so recht als Wissenschaft zu gelten. Oft bleiben deshalb Analysen stehen bei der Beschreibung, wie alles sich entwickelt hat (und sich zugespitzt hat oder immer schlechter oder verfahrener geworden ist) – aber was daraus folgt, was zu tun wäre, kommt oft zu kurz. Je komplexer die Analysen, umso orientierungsloser werden die Menschen, die sich durch die Analysen durchgekämpft haben.
Um erneut auf den lösungsfokussierten Therapieansatz zu kommen. Dort wird der größte Wert daraufgelegt, im Gespräch soweit zu kommen, dass der Klient einen nächsten Schritt tatsächlich machen kann, also ein verändertes Verhalten hinbekommt, so klein diese Veränderung auch ist.
Interviewer: Für eine Therapie mag das ja Sinn machen. Aber als Schema für gesellschaftliche Veränderung? Früher hätte man dazu gesagt: Simpler Reformismus! Kalter Kaffee!
OM: Ich meine dies eher als ein allgemeines Schema, wonach sich jede einzelne Person richten kann oder einzelne Gruppen, aber natürlich kann man auch ganze Gesellschaften und ihre Reformprozesse so betrachten. Und es ist von mir natürlich als iterativer Prozess gedacht. Nicht eine Entscheidung, sondern eine Entscheidung – deren Umsetzung – die Evaluation – die Korrektur oder eine neue darauf aufbauende Entscheidung und so immer weiter.
Aber, es ist richtig, es muss noch etwas hinzukommen, das im Rahmen einer Therapie der Therapeut reinbringt, nämlich eine Instanz, die nicht in die Probleme verstrickt ist. Hier finde ich interessant, dass wir Menschen die außerordentliche Fähigkeit haben, unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen.
Interviewer: Das ist ja jetzt die nächste Banalität, die von Ihnen zur großen Neuigkeit aufgebauscht wird!
OM: Immerhin eine Banalität, die häufig in politischen Diskussionen nicht beachtet wird. Wie oft ist davon die Rede, dass „etwas so ist und nicht anders“ und Menschen mit ihrer jeweiligen Perspektive in heftige, oft unproduktive Streitereien mit anderen geraten (oder eine Gruppe gegen eine andere). Würde man den eigenen Blickwinkel einbeziehen und auch benennen und auch verdeutlichen, wozu man diesen einnimmt und ihn anderen Blickwinkeln und ihren Intentionen gegenüberstellen, könnte mancher unproduktive Streit beigelegt werden oder der Streit könnte produktiver werden.
Interviewer: Also eine Methode zur konstruktiveren Handhabung von Konflikten!?
OM: Auch, aber das war jetzt nur ein Nebenaspekt, den ich gestreift habe. Nein, hauptsächlich meine ich etwas anderes. Je weiter ich mich in meiner Vorstellung von der Gesellschaft entferne, also versuche, die Gesellschaft als Ganze in den Blick zu bekommen, umso eher kann ich grundsätzliche Aspekte, systemische Merkmale und Dysfunktionen, moralisch gesprochen, die Schlechtigkeit des Gesamtsystems erkennen. Und vielleicht auch imaginieren, wie grundlegend anders die Gesellschaft werden muss.
Halte ich den Abstand geringer, so sehe ich mehr die Details, verliere aber leicht die Grundzüge des gesamten Systems aus dem Blickfeld. Vielleicht verheddere ich mich in den Details, vielleicht sehe ich aber auch in den Einzelheiten realistische Möglichkeiten der Veränderung.
Ein besonderer Aspekt eines größeren Abstands könnte sein, dass ich sehe, wie in dem Prozess der (tatsächlichen oder vorgestellten) Veränderung negative Aspekte aus der Vergangenheit mitgeschleppt werden oder umgekehrt, wie zu verhindern wäre, dass dies geschieht und was an Neuem schon am Entstehen ist oder sich mehr etablieren müsste.
Interviewer: Das ist aber jetzt sehr abstrakt.
OM: Nun ja, in eine Position des Abstands zu gehen, ermöglicht ja gerade, abstraktere Merkmale der Gesellschaft zu erkennen. Das ist manchmal sinnvoll. Dann aber wiederum gar nicht. Da muss man näher rangehen. Das meine ich ja gerade mit der Fähigkeit, unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen, je nachdem, was mein Interesse ist.
Ein anderer Aspekt von Blickwinkel ist die Einstellung, mit der ich Gesellschaft betrachte. Da gibt es ja ganz verschiedene Möglichkeiten, aber zwei unterschiedliche möchte ich besonders hervorheben.
Die eine Einstellung ist eine realistische, also das Interesse an einer ungeschminkten Bestandsaufnahme. Das ist die in der Wissenschaft übliche Einstellung.
Eine andere wäre das Interesse, positive Entwicklungen zu suchen. Das ist besonders schwierig. Denn leicht könnte man alles Mögliche als tolle Entwicklung ansehen, quasi eine rosarote Brille aufsetzen. Die eigenen Wünsche und Hoffnungen gehen mit einem durch und man hebt ab. Diese Einstellung ist auch insofern schwierig, weil bei vielen Entwicklungen noch nicht klar ist, ob sie wirklich in die gewünschte Richtung gehen. Die Anzeichen sind sehr vage. Und wenn ich dazu noch erwarte, man könnte erkennen, welche Aktion genau welche Folgen hatte, so wird es nochmal schwieriger. Aber so schwierig dies auch ist, in solchen wahrgenommen positiven Entwicklungen liegt Hoffnung, Und die meisten Menschen brauchen Hoffnung, um tätig zu werden oder tätig zu bleiben.
Interviewer: Ist es nicht besser, wie Lessenich zu argumentieren, dass man von der Sozialwissenschaft aus offenlegen muss, wie sehr wir uns etwas vormachen, dass wir erkennen müssen, was wir durch unsere Lebensweise in der ganzen Welt und der Natur anrichten – und dann den Menschen selbst überlassen, was sie damit machen?
OM: Das ist für mich die herkömmliche problemorientierte Vorgehensweise. Sie ist m.E. anspruchsvoller. Viele Menschen schaffen es nicht, solch eine Erkenntnis anzunehmen und konstruktiv damit umzugehen. Lessenich sagt das ja selbst, dass viele darauf gekränkt und regressiv reagieren.
Bei der lösungsfokussierten Form der Unterstützung von Veränderung schaut man darauf, wie Menschen Schritte veränderten Verhaltens gelingen können. Im Verlauf und in der Folge eines veränderten Verhaltens verändern sich dann auch manchmal Einsichten und daraus können weitere Veränderungen im Verhalten folgen oder diese sich stabilisieren. Für die meisten Menschen ist dies einfacher. Und ich bin überzeugt, dies gilt auch für eine Gesellschaft als Ganzes.
Interviewer: Das klingt ja alles mehr oder weniger, als ob man eine wissenschaftliche Durchdringung unserer Gesellschaft gar nicht mehr bräuchte und ein psychologisches Konzept wäre ausreichend, die sozialökologische Transformation zu erreichen. Das kann doch nicht ihr Ernst sein?
OM: So möchte ich nicht verstanden werden. Es geht mir um Prioritäten. Das Wichtigste scheint mir, dass sehr viele Menschen ihr Verhalten ändern, um eine sozialökologische Transformation zu befördern. Die vielen, die ahnen, dass eine Veränderung notwendig ist, sollten Wege finden, tatsächlich mehr und wirkungsvolleres zu tun. Dazu tragen komplexe wissenschaftliche Konzept m.E. nur recht wenig bei. Und andere konsumieren solche komplexen vielfältigen Theorien im Übermaß, aber ich habe Zweifel, ob ihr konkretes Verhalten dadurch wirksamer und konsequenter wird. Aktivitäten, die positive und vielfältige Möglichkeiten zu handeln aufzeigen, denen wird wahrscheinlicher gefolgt als Konzepten, bei denen einem zuerst die eigene Verstrickung (Lessenich) aufgezeigt wird.
Ich finde es einfach genial, wie das in einer Therapie implizit vom Therapeuten kommuniziert wird: Was jetzt ist, nehmen wir einfach als gegeben – egal wie furchtbar es ist und egal, wer dran schuld ist. Und ich helfe dir dabei, zu der von dir gewünschten Zukunft zu kommen. Man könnte – implizit im Quadrat – noch hinzufügen: Und wenn du bei diesem Veränderungsprozess merkst, in welcher Weise du mit schuld an der Misere warst, okay. Wenn du es nicht merkst, dann handelst du wenigstens ab jetzt so, dass du es ein wenig wieder gut machst oder dafür sorgst, dass du es nicht weiter immer schlimmer machst.
Das halte ich auch bei der gesellschaftlichen Perspektive für wirkungsvoller, als zuerst den Menschen beizubringen, in welcher Weise sie mitverantwortlich für die Misere sind. Und vor allem: Manche Menschen wissen oder ahnen dies schon und dies motiviert sie, etwas anders zu machen. Wenn dieses Wissen in dieser Weise wirksam wird, finde ich das gut. Natürlich ist dieses Wissen oder diese Ahnung ausbaufähig. Aber diese Linie zu vertiefen, läuft Gefahr, dass die Diskrepanz zwischen Wissen und Tun bei den Menschen, die sich damit befassen, noch größer wird. Oft wird das vorrangig mit Gefühlslagen beschrieben. Menschen fühlen sich schuldig oder schämen sich für dieses und jenes. Aus meiner Sicht ist es ziemlich egal, welche Gefühle genau da auftreten und wie man diese Gefühle beschreibt. Das ist unterschiedlich von Mensch zu Mensch. Man braucht sie vielleicht gar nicht ausführlich zur Sprache zu bringen. Entscheidend ist, dass viele Menschen zu einem veränderten Verhalten kommen. Ich erlebe bei gut gebildeten Menschen oft, dass sie denken: Wenn Menschen richtig informiert sind, dann handeln sie entsprechend. Also muss man aufklären, damit sie das richtige Verständnis gewinnen. Aber so funktioniert Veränderung des Verhaltens nicht so oft.
Interviewer: Ja, aber das machen sie doch genau auch, indem sie sich hier derart abstrakt äußern.
OM: Ja, aber ich mache ja noch anderes als mich wie hier zu äußern.
Außerdem möchte ich auch andersartige Bemühungen nicht schlecht reden. Ich möchte eher in der Diskussion oft unterbelichtete Aspekte mehr in den Vordergrund stellen. Die sozialökologische Transformation braucht die verschiedensten Aktivitäten sehr unterschiedlicher, vieler Menschen und es wird sich im Verlauf herausstellen, was wirksamer war und was weniger.
Interviewer: Also halten sie gesellschaftswissenschaftliche Überlegungen und Analysen doch auch für relevant?
Ja, natürlich. Ich finde nur, man sollte sich immer mal wieder fragen: was will ich jetzt? Und dann diszipliniert denken und miteinander sprechen und handeln. Ich habe viele Gespräche miterlebt, in denen man sich von einem Problem zum nächsten bewegt. Gut, wenn ich herausfinden will, ob ich mich hier unter Gleichgesinnten bewege und mich dann wohlfühlen möchte, wenn sich das wieder einmal bestätigt hat, ist das okay. Und wenn das eine gute Basis schafft für eine Gruppe, dann ebenfalls. Wenn ich oder wir aber eine Aktion oder Kampagne ins Leben rufen wollen, dann hilft das nicht viel. Mit diszipliniert denken und sprechen meine ich auch nicht, dass das durchgehend sein sollte. Natürlich muss man auch miteinander lachen können oder im Sinne eines Brainstormings der Fantasie freien Lauf lassen. Und genauso kann es auch wichtig sein, eine schwer verdauliche Analyse durchzuarbeiten. Aber nicht eine nach der anderen, ohne sich zwischendurch zu fragen: Und, was habe ich oder was haben wir jetzt daraus gelernt? Was werde ich oder werden wir jetzt anders machen?
Interviewer: Da bin ich ja beruhigt, dass sie wissenschaftlichen Analysen auch einen Wert zuerkennen.
13.11.22
Weniger rechnen, dafür anders denken von Otto Merkel
Kommentar zu: Wir haben uns verrechnet
Meine Alternative: Mich selbst oder jeden Menschen als Zentrum für Aktivitäten ansehen. Ich handle oder verändere mein Handeln in Richtung anders konsumieren oder leben und dazu gehören auch politische Aktivitäten. Und je stimmiger das wird, umso mehr bestärken sich die verschiedenen Dinge, die ich tue, gegenseitig. Die Ausgangslagen sind für die Menschen unterschiedlich, auch die Vorlieben, Kompetenzen und Möglichkeiten. Die Annäherung sollte sich in der Zielorientierung entwickeln. Konkreter: Mein Einkaufen und Essen und Fahrradfahren erinnert mich täglich an mein Handeln gegen die Erderhitzung und dazu passt, dass ich zu einer Demo gehe oder entsprechend wähle oder weiß ich, was ich noch tue, auch wenn dies nicht jeden Tag passiert. Und dies alles zusammen bringt oder hält mich auf dem richtigen Kurs. Zählen und Rechnen können dabei helfen, führen aber, isoliert verwendet, in die Irre. Wir sollten uns angewöhnen, die Dinge zusammenzudenken.
28.10.22 Klima- und Naturschutz zusammenbringen! von Otto Merkel
Sicher sollte man den Leserbriefschreiber Georg Rossa („Ist Windkraft nicht doch ein Standortkiller?“) als langjährigen engagierten Naturschützer ausdrücklich respektieren. Sein Text berührt einige wichtige Fragen, weswegen ich dazu etwas schreiben möchte.
Die Aussage des Unternehmers und Windkraftexperten Franz Mitsch von 150 nötigen Windkraftanlagen im Kreis Bergstraße entspringt nicht irgendwelchen „Träumen“, sondern stellt eine Hochrechnung dar, wenn wir davon ausgehen, der Kreis Bergstraße sorgt selbst für die Energie, die er braucht, und wenn wir davon ausgehen, dass wir weiter so konsumieren wie gewohnt. Und es gehen Annahmen mit ein, die noch genauer zu überprüfen sind. Ich bin damals auch über die große Zahl erschrocken und dachte bei mir: Da sollten wir als Gesellschaft doch noch mal darüber debattieren, ob wir nicht lieber unsere Konsumansprüche herunterschrauben. Mit „wir“ meine ich nicht die Ärmeren unter uns, die gerade aktuell kaum über die Runden kommen, sondern die materiell bessergestellten, die wie selbstverständlich mehrmals im Jahr in den Urlaub fliegen und sich andere Dinge leisten, die unser Klima und die Natur ruinieren.
Leider ist die Erderhitzung und Naturzerstörung von vielen noch nicht richtig begriffen, sonst hätte die CDU/CSU nicht noch so viele Anhänger. Ich sage das nicht, weil ich die vielen Natur- und Klimaschützer in der CDU/CSU diffamieren möchte, sondern deshalb, weil die CDU/CSU, teilweise mit der SPD oder der FDP, die Energiewende in den 2010-er Jahren derart ausgebremst hat.
Der Leserbrief nennt und kritisiert als einzigen Politiker Robert Habeck. Natürlich macht die jetzige Regierung mit Habeck üble Umwege auf dem Weg zur Klimaneutralität (Wiederanfahren dreckiger Kohlekraftwerke, Beschaffung von dreckigem und dazu teurem Fracking-Gas). Meiner Meinung nach hängen diese üblen Umwege hauptsächlich mit dem Krieg in der Ukraine und den Folgen zusammen. Aber diese Regierung hat eine Menge bürokratische Knüppel aus dem Weg der Erneuerbaren geräumt und bewegt sich hin zur Klimaneutralität. Nicht schnell genug, aber die alte Regierung war eine Schnecke dagegen. Manche neuen Vorschriften gelten erst seit kurzem oder werden erst zum nächsten Jahr in Kraft treten oder brauchen noch Zeit, bis sie sich auswirken, so dass es viele noch nicht so merken.
Das finde ich schade bei manchen konsequenten Naturschützern: Sie konzentrieren sich mit Herzblut auf einzelne Phänomene oder Ereignisse, denken aber anscheinend weniger darüber nach, wie die Politik doch große Linien festlegt – in die eine oder andere Richtung und dass wir es sind, die die Politiker wählen. Und weil dort in der Politik oft schwer verständliche Kompromisse rauskommen, denkt man leicht: Von denen ist nichts zu erwarten. Vergiss die Politik! Das ist nachvollziehbar, aber schade.
Ich schreibe das, weil diese Aspekte in dem Leserbrief fehlen und man sich fragen könnte: Ja, was will er denn nun?
Ich glaube nicht dran, dass man die Konflikte zwischen Naturschutz und Klimaschutz alle schön einvernehmlich lösen kann. Es sind sicherlich auch Kompromisse nötig, die weh tun. Vielleicht ist der Kompromiss, wie der Artenschutz beim Bau neuer Windkraftanlagen berücksichtigt werden soll, solch einer. Aber, überspitzt gesagt: Wenn wir jeden einzelnen Baum und jedes einzelne Tier retten wollen, werden wir bald in einer so heißen Welt leben, in der sehr viele Tiere und Pflanzen nicht mehr leben können und auch viele Menschen. Wir Europäer werden es vielleicht noch relativ gut haben, aber in weiten Teilen von Afrika, Pakistan oder Indien zum Beispiel werden wohl keine Menschen mehr leben können.
14.9.22 Unverpackt-Laden Lorsch geschlossen von Otto Merkel
Jetzt musste der Unverpackt-Laden Lorsch zumachen. Zu wenige kauften dort ein. Auch manch andere Unverpackt-Läden schließen. Das sind Rückschläge.
Wenn wir Plastikmüll reduzieren wollen, brauchen wir solche Läden. Genauso wie wir Produzenten und Handel brauchen, die langlebige und gut reparierbare Produkte anbieten. Oder Menschen, die in der Region ökologische Lebensmittel herstellen.
Um die Erderhitzung und Naturzerstörung zu bremsen, sind selbstverständlich entschiedene politische Maßnahmen nötig. Die Veränderung muss aber die gesamte Gesellschaft umfassen. Und dazu gehören auch wir Menschen, die ihre Konsum- und Lebensweise verändern. Und dazu benötigen wir auch wiederum eine passende Infrastruktur, die langlebige und reparierbare Güter produziert und anbietet, die ökologische Lebensmittel aus der Region zur Verfügung stellt, Handwerker, die Solaranlagen und Wärmepumpen planen und installieren können, Läden, die plastikfreien Einkauf ermöglichen usw. Und dazu wiederum Pionierinnen, die die Initiative ergreifen, persönlich etwas riskieren. Und es ist ein Rückschlag, wenn eine solche Pionierin wie Sabrina Machleid vom Unverpackt-Laden Lorsch jetzt aufgeben musste.
Diejenigen von uns, die eine sozial-ökologische Veränderung für notwendig halten und die nicht gerade jeden Cent dreimal umdrehen müssen, sollten darauf achten, solche Möglichkeiten auch zu nutzen. Wenn wir das nicht tun, fallen diese Strukturen wieder weg und möglicherweise auf lange Dauer.
12.8.22 Eine beeindruckende Beständigkeit!
von Otto Merkel
Gestern war ich um 18 Uhr in Bickenbach.
Ein Freund hatte mir erzählt, dass er sich mit einigen Menschen seit Ende Februar täglich um 18 Uhr trifft, als Aktion gegen den Krieg in der Ukraine.
Das fand ich so stark, dass ich mir das angucken wollte.
Tatsächlich fanden sich 9 Personen an einem Denkmal nahe der Kirche ein. In der kleinen Anlage gab es zwei Bänke, auf die man sich gegenüber hinsetzen konnte. Einer hatte eine zusätzliche Sitzgelegenheit mitgebracht. An einer offiziellen Fahnenstange haben sie eine Friedensfahne angebracht – auf Halbmast. Die lassen sie hängen, einfach so und tatsächlich wurde sie bisher von niemandem abgehängt.
Einer verteilte ein Blatt mit Text und Noten für ein Lied, das dann gesungen wurde. Ein altes Volkslied. Dann las eine Frau Liedtexte vor von Liedern, die in der katholischen Jugend in der Nazizeit gesungen wurden. Dann las mein Freund noch einen Liedtext von Biermann vor. Dann unterhielt man sich über aktuelle Dinge, mit denen man sich beschäftigte: dass Leute aus dem Bach Wasser holten, obwohl das zurzeit wegen der Trockenheit verboten ist, dass es manchen Leuten am Gefühl für die Allgemeinheit fehlt und ähnliches.
Zum Abschluss nach einer halben Stunde wurde das Lied „Dona nobis Pacem“ gesungen.
Ich begleitete danach noch meinen Freund und seine Frau nach Hause. Ich erfuhr, dass sie mit den Treffen einfach angefangen haben, ohne Anmeldung. Die Ordnungsbehörde kam dann auf sie zu, dass das so nicht ginge und stellten ihnen eine Genehmigung für eine Mahnwache aus. Meist kommt auch die Polizei vorbeigefahren. Auf der Straße nebenan fahren recht viele Autos, aber Fußgänger sieht man nicht so viele. Sie hätten sich selbst gewundert, dass sich sowas in dieser Beständigkeit entwickelte. 2-3 Leute sind mindestens da, manchmal auch über 10. Und es läuft meist so ähnlich ab: Singen, etwas vorlesen, sich unterhalten, singen. Jeden Tag, auch am Wochenende.
Wie es mir damit ging?
Einiges war mir zu religiös oder eine zu große Betonung von Moral. Mitsingen wollte ich auch nicht.
Sehr positiv beeindruckt war ich von dem konstruktiven Austausch im Gespräch. Und am meisten davon, dass sie sich tatsächlich seit Monaten täglich treffen. Das finde ich eine riesige Leistung!
Ich würde mir wünschen, wir bekämen zum Thema Klima etwas ähnlich Beständiges auch in Bensheim hin, wenigstens einmal die Woche. Das wäre schon was.
9.8.22
Kommentar zu „Arme und Arschlöcher“ von Peter Unfried
Ich finde, man kann diesen Text sehr verschieden lesen.
Zum einen kann man sich freuen, wie Unfried große ideologische Linien benennt, damit kenntlich macht und kritisiert. Und ich denke: Irgendwie hat er recht. Ich freue mich, mit Unfried’s Hilfe den großen Durchblick zu gewinnen.
Man kann den Text aber auch ganz anders lesen. Dann bin ich enttäuscht, wenn renommierte Leute – wie hier Peter Unfried – Politik und privates Verhalten gegeneinander ausspielen. Es brauche „ernsthafte Effizienzpolitik als großen Rahmen.“ Es gehe darum, „mit politischen Instrumenten an der Verbesserung von Strukturen“ zu arbeiten. Natürlich hat er da recht. Aber warum muss er gleichzeitig Energiesparen oder andere Aspekte des privaten Lebens für irrelevant erklären? Er will den Irrweg, das Private sei politisch, entlarven. Aber damit spaltet er das Potential für die sozialökologische Transformation.
Unfried tut so, als sei er in der Position, wo er die Politik in die richtige Richtung bringen kann oder zumindest dies in Worte fassen kann. Er beachtet aber nicht die einzelnen Menschen in ihren sehr unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten. Die meisten Menschen sind nicht Klima- und Wirtschaftsminister, die direkt an der Veränderung von Strukturen arbeiten können. Und auch solche Menschen können nicht alles aushebeln, was sie für richtig halten.
Dafür haben konkrete Menschen die einzigartige Fähigkeit mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Ich kann einen besseren Duschkopf benutzen und auf die nächste Klimademo gehen. Ich kann ökologische Lebensmittel einkaufen (und weiß gleichzeitig, dass andere so wenig Geld haben, dass sie sich das nicht leisten können) und kann eine Partei wählen, die am ehesten den sozialökologischen Umbau vertritt. Das eine kann ich jeden 3. Tag machen, das andere nur alle paar Jahre. Indem ich meine politischen Möglichkeiten nutze – so gering diese auch sind – und meine Verhaltensroutinen daran orientiere, wie ich mir ein zukünftiges wünschenswertes Leben vorstelle, kann ich eine gewisse Stimmigkeit in meinem Leben erleben. Mit dem Risiko – das geißelt Unfried – mich besser zu fühlen als andere Menschen. Aber auch mit der Chance, mich gut zu fühlen, dankbar zu sein, dass ich das Glück dazu habe und mich entsprechend verantwortlich zu fühlen und entsprechend zu handeln – ohne auf andere herabzuschauen, die dieses Glück nicht haben und weniger für die sozialökologische Transformation tun. Und indem ich mich so fühle, erhöht das die Chance, dass ich demnächst vielleicht auch Dinge tue, die ich mir gegenwärtig nicht zutraue oder die ich gegenwärtig für zu gewagt halte.
Es geht also meines Erachtens darum, dass jede/r das tut, was ihm/ihr möglich ist. Und auch das, was man gut kann, was einem liegt. Auch die Fähigkeiten und Neigungen sind unterschiedlich. Die kleinen alltäglichen Routinen können die großen Gedanken und das Reden darüber fördern und umgekehrt.
Teilweise argumentiert Unfried in seinem letzten Absatz auch in diese Richtung: „Zusätzlich können selbstverständlich die Haushalte, die willens und in der Lage sind, …Energie einsparen…“ Er übersieht aber völlig das Potential, das darin liegt, wenn Menschen verschiedene Aspekte ihres Lebens in einen subjektiv sinnvollen Zusammenhang kriegen, auch wenn nur bruchstückhaft.
Unfried beschließt seinen Artikel mit dem Satz: „Priorität hat eine neue Politik.“ Schön! Und wie kommen wir da hin?
Unfried hat sicherlich recht, dass man die vielen Einseitigkeiten, die er beschreibt, aufbrechen muss. Aber nicht damit, eine neue Einseitigkeit zu konstruieren: strukturelle politische Veränderungen bringen es, individuelle Sparmaßnahmen nicht.
16.1.22 Zum Klimaschutzkonzept des Kreises Bergstraße (1) von Otto Merkel
Der Landkreis Bergstraße hat am 15.11.2021 ein Klimaschutzkonzept verabschiedet. Es ist ein umfassendes, in zwei Jahren Arbeit mit externer Hilfe von Fachbüros und auch in Rückkoppelung mit Arbeitsgruppen des Nachhaltigkeitsbeirats erstelltes Papier.
Wie soll man zu diesem Konzept und der Klimapolitik des Kreises insgesamt stehen?
Ich sehe verschiedene Möglichkeiten.
Eine erste Position
Es ist sehr positiv, dass der Kreis ein solch umfassendes Konzept erstellt hat. Und es ist ebenfalls sehr positiv, dass der Kreistag dieses Papier mit vielfältigem Lob und sehr großer Mehrheit beschlossen hat. Das bedeutet, dass ein Großteil unserer Kreispolitiker dem zugestimmt hat. Das ist schon viel wert. Man kann diese Politiker auch in Zukunft beim Wort nehmen.
Im Juni 2020 wurde Herr Pfuhl als Klimamanager eingestellt mit dem Auftrag, dieses Konzept zu erstellen. Nicht nur ich allein, auch andere Aktive im Klimabündnis, haben Herrn Pfuhl als einen sehr freundlichen, kompetenten und kooperativen Menschen kennengelernt, der sich, neuerdings zusammen mit seiner Mitarbeiterin Frau Heuer, engagiert um Klimaschutz bemüht. Er war oft bei den virtuellen Treffen des Klimabündnis dabei, hat auch jetzt bereitwillig das erstellte Konzept referiert und mit uns zusammen diskutiert. Dabei hat er an vielen Stellen Anregungen aufgegriffen und zugesagt, sie entsprechend weiterzuleiten.
Es spricht also alles dafür, mit ihm zu kooperieren, auch im Rahmen von Internetplattformen oder Arbeitskreisen, die der Kreis einrichten wird.
In dem Konzept stehen viele gute Analysen und Vorschläge. Es spricht alles dafür, die Umsetzung nicht nur zu unterstützen, sondern ausdrücklich einzufordern.
Eine zweite Position
Man könnte auch – ebenfalls mit guten Gründen – eine ganz andere Haltung einnehmen zu dem, was der Kreis klimapolitisch macht. Etwa so:
Der Kreis konnte es sich im Sommer und Herbst 2019 angesichts der Fridays-for-Future-Bewegung und der damals erschreckenden Dürre einfach nicht leisten, Klimaschutz zu ignorieren. So griff er den Antrag der Fraktion der Grünen zum Klimanotstand einerseits und das Angebot des Bundes, einen Klimamanager weitgehend zu finanzieren, auf. Ein Klimamanager wurde eingestellt und beauftragt, ein Konzept zu erstellen. Damit hatte man das Thema erstmals für knapp 2 Jahre vom Hals und brauchte nichts zu tun oder nur das Nötigste. Denn man braucht ja erst einmal ein Konzept!
Als ich den Landrat im zuständigen Ausschuss am 9.9.21 zum „Sachstand Klimaschutz“ sprechen hörte, klang es so, wie wenn das meiste schon erledigt und abgearbeitet wäre.
Am 11.11.21 wurde der fertige Bericht im Ausschuss diskutiert und beschlossen. Wenn man da dem Landrat zuhörte, so ging es weniger um ein großes dringliches Anliegen, sondern um die Einordnung von Klimaschutz in das übliche Verwaltungshandeln des Kreises. Man orientiert sich an den übergeordneten politischen Ebenen und passt sich für seine Zuständigkeit darin ein, so hinsichtlich der Ziele, bis wann Klimaneutralität erreicht werden soll.
Was den Ausbau von Windenergie angeht, respektiert man den bestehenden Regionalplan und beschreibt, wieviel Windräder im Höchstfall danach gebaut werden können. Ob sie gebaut werden, entscheiden dann Investoren nach den Vorschriften übergeordneter Ebenen und ob es sich danach überhaupt lohnt.
Ähnlich beim Ausbau von Solaranlagen. Ob sie sich lohnen, hängt von den Vorschriften des Bundes usw. ab und wenn sie sich lohnen, werden sie von Privatleuten oder Firmen gebaut oder auch nicht. Freundlich lächelnd betonte der Landrat, er vertrete aus Überzeugung die Marktwirtschaft.
In völligem Kontrast zu diesem Bekenntnis verhielt er sich bei der Bestückung der Schuldächer mit Solaranlagen. Da entschied er eher so, wie man es von Linken oder linken Sozialdemokraten erwarten würde: Investitionen in die Infrastruktur werden aus Steuermitteln und in der Regie des Kreises gebaut, damit auch die Gewinne wieder in den Kreishaushalt fließen. Die Alternative, einige Solaranlagen auf Schulen von der Energiegenossenschaft Starkenburg bauen zu lassen, würde ja bedeuten, dass die Gewinne Privaten zugutekäme. (Obwohl der Unterschied kaum größer sein könnte, wenn einerseits milliardenschwere Investoren Profit machen oder andererseits die Mitglieder einer Schulgemeinde und Nachbarn in eine PV-Anlage auf ihrer Schule investieren und dann auch ein klein wenig daran verdienen, wie es die Energiegenossenschaft Starkenburg praktiziert)
Dieses für einen CDU-Landrat ungewöhnliche Verhalten kann ich nur so verstehen, dass es ihm am wichtigsten ist, dass alles langsam und kontrolliert von der eigenen Behörde vorangeht.
Natürlich ist es eine Tatsache, dass der Kreistag das Klimaschutzpapier beschlossen hat und dass da auch wirklich gute Sachen drinstehen. Aber praktisch wurde damit ja gar nichts beschlossen. Denn die Realisierung von Maßnahmen, insofern sie etwas kosten, müssen ja Schritt für Schritt mit dem jeweiligen Haushaltsplan beschlossen werden. Das große Papier zu beschließen, war eine recht unverbindliche Absichtserklärung.
Schaut man in das Papier selbst, so sind schon die Ziele nicht ausreichend ambitioniert. Und die Realisierung, das zeigt das tatsächliche Handeln der Kreispolitik, hinkt seither hinterher und wird in Zukunft noch viel weiter hinterherhinken. Wenn man an die chronisch klammen Kassen der Öffentlichen Hand denkt, dann ganz gewiss.
Die Klimaschutzpolitik des Kreises ist somit in erster Linie „Blabla“ und ein Mitschwimmen in gegebenen Trends, garniert mit großen Worten. Und wo es möglich ist, schmückt man sich noch, Vorreiter von Digitalisierung und Innovation zu sein. Das kann man daran erkennen, dass eines der wenigen Dinge, die inzwischen schon passiert sind, der Versuch war, in Modellprojekte für Wasserstoff reinzukommen. Und man will ein „Digiversum“ – Digitalisierung zum Anfassen für Jedermann errichten.
Eine dritte Position
Ich möchte eine Dritte Position vorschlagen.
Wir sollten die guten Ansätze anerkennen und auf einer praktischen und konkreten Ebene mit dem Klimamanager, seiner Kollegin und anderen Akteuren aus der Politik, der Wirtschaft und der Bürgerschaft konstruktiv zusammenarbeiten. Damit können wir die Veränderungen, die in die richtige Richtung gehen, aktiv unterstützen. Gleichzeitig sollten wir im Detail kritisieren, was wir für falsch oder einseitig halten und anmahnen, was fehlt.
Wir sollten allerdings nicht der großen Erzählung „Es ist alles auf einem guten Weg“ zustimmen, sondern entgegenhalten, dass es viel zu langsam geht und punktuell auch auf dem falschen Weg ist.
Was mir ein besonderes Anliegen ist: Wir sind Menschen und keine Maschinen, die starr und unentwegt ein und dasselbe äußern. Es geht auch nicht nur um fundierte naturwissenschaftliche Ergebnisse, die nun mal so sind wie sie sind. Sondern wir sind Menschen im kommunikativen Austausch mit anderen Menschen und auch Wesen, die sich in unterschiedlicher seelischer Verfassung befinden.
Ich rede sicherlich etwas anders, wenn ich mit Gleichgesinnten spreche, als wenn ich mich der Presse gegenüber äußere und wieder etwas anders, wenn ich an einem Infostand mit einer Passantin spreche. Wenn ich alleine nachdenke, so denke ich das eine Mal mehr so und ein anderes Mal etwas anders, auch je nachdem, in welcher Stimmung ich mich befinde. Der Kontext und die eigene Befindlichkeit spielen durchaus eine Rolle.
Das gilt auch für eine Gruppe von Menschen. Bei der Sitzung des Klimabündnis am 11.1.22 zusammen mit dem Kreisklimamanager zum Konzept des Kreises herrschte eine außerordentlich freundliche und kooperative Stimmung, auch Kritik an dem Kreiskonzept wurde ausgesprochen freundlich dem Klimamanager als Anregung rübergebracht. Mehrere fragten, wo man unterschreiben solle, damit seine Stelle verlängert wird. Gleichwohl bin ich sicher, zumindest bei mir, aber ich glaube nicht nur bei mir, dass es bei manchen Beteiligten auch sehr viel kritischere Gedanken zu der ganzen Sache gibt. Aber man muss ja nicht jede Kritik zu jedem Zeitpunkt präsent haben oder auch äußern.
Wir sind als Menschen fähig, uns zu entscheiden, was wir zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Vordergrund stellen, welchen Blickwinkel wir gerade jetzt betonen. Wenn ich gerade mit jemandem spreche, so geh ich natürlich auf den anderen ein und verkünde nicht einfach schroff eine Position – egal, wie es beim anderen ankommt.
Wenn ich aber für mich allein oder mit Gleichgesinnten mal sehr grundsätzlich nachdenke, kommen mir eventuell viel kritischere Gedanken.
So sind wir auch frei, uns bei Bedarf an das erinnern, was ich unter „Eine zweite Position“ (natürlich sehr übertrieben und einseitig) formuliert habe. Nicht unbedingt, um diese Position in dieser Schärfe und Einseitigkeit an die Öffentlichkeit zu bringen, sondern mehr, um uns selber zu vergewissern, dass man die Dinge durchaus auch so oder zumindest so ähnlich sehen könnte. Auch um uns selbst daran zu erinnern, wo wir – genau und grundsätzlich betrachtet – stehen hinsichtlich dessen, was eigentlich nötig wäre, um die Erderhitzung rechtzeitig zu stoppen. Und wenn wir es notwendig finden, können wir das auch an die Öffentlichkeit bringen.
Aber nochmal: Wie komme ich auf diese komische Idee, die Flexibilität und Unterschiedlichkeit von Positionen so zu betonen? Ist es nicht nötig, eine gute Position zu erarbeiten und die dann auch konsequent zu vertreten?
Nun, nehmen wir zum Beispiel das Klimabündnis Bergstraße. Wir haben Anfang 21 ein Programm beschlossen und veröffentlicht. Haben wir damit erreicht, dass es auch umgesetzt wird? Noch lange nicht! Wer liest schon dieses lange Programm? Wer sagt dann: Ja, das machen wir so! Es geht uns doch um gesellschaftliche Veränderung. Und dazu müssen wir uns vielfältig einmischen, bei unterschiedlichen Gelegenheiten, als Einzelne und als Gruppe. Wir müssen Veranstaltungen und Aktionen machen, die Aufmerksamkeit finden. Wir müssen mit den verschiedensten Menschen und Gruppen sprechen und dabei auch auf deren Sichtweisen und auf deren Interessen eingehen und uns damit auseinandersetzen. Und so weiter. Deswegen betone ich so sehr die Flexibilität und die Unterschiedlichkeit der Kommunikation.
Als lebendige Menschen und als lebendige Gruppe können und müssen wir uns erlauben, uns unterschiedlich zu äußern und unterschiedliche Dinge zu tun.
Und wir dürfen nicht vergessen, uns selber da mit einzubeziehen. Denn wir wissen ja: Die sozialökologische Transformation wird nicht nur von „der Politik“ gemacht, sondern auch von uns in unserem Handeln im Alltag, gegenüber anderen Bürger:innen und gegenüber „der Politik“.
Eigeninitiative gefragt! von Otto Merkel
Die Stadtverordnetenversammlung in Bensheim hat am 20.5.21 beschlossen:
„Der Magistrat wird beauftragt, bis zur Haushaltsberatung 2022 ein Programm zur Errichtung von PV-Anlagen auf Gebäuden und über Verkehrsflächen vorzulegen. In dem Programm soll enthalten sein:
– Die Installation von Photovoltaikanlagen auf allen städtischen Gebäuden, bei denen eine Photovoltaikanlage technisch (elektrisch und statisch) umsetzbar ist. Der zentrale Busbahnhof ist dort ebenfalls aufzunehmen.
– Vorschläge für die Installierung von Photovoltaikanlagen über kommunalen Park- und Stellplätzen sowie auf den Parkhäusern.
– Das Führen von Gesprächen mit den Eigentümern großer Parkplätze, um die Installation von Photovoltaikanlagen über den Park- und Stellplätzen zu erreichen.
– Eine Informations- und Werbekampagne für den Bau von Photovoltaikanlagen auf a) Privaten Dachflächen und b) Firmen Dachflächen. Diese Kampagne soll zusammen mit Partnern umgesetzt werden. Das städtische Förderprogramm ist dabei zu berücksichtigen. Diese Kampagne soll ohne kostenverusachende externe Berater durchgeführt werden.
– Bei jeder PV Anlage im öffentlichen Bereich ist eine Ladestation für Elektro-Autos zu berücksichtigen.
– In dem Programm ist darzustellen, über welchen Zeitraum sich die Maßnahmen erstrecken sollen, welche Kosten mit ihnen im einzelnen verbunden sind und wie sie zu finanzieren sind und wie hoch die dadurch erzielte regenerative Energieerzeugung pro Jahr je Umsetzungsjahr sein kann.“
Mein Kommentar dazu:
Für diesen Beschluss muss man die Bensheimer Kommunalpolitiker wirklich loben, die BfB für den Anstoß dazu, dann Grüne und FWG und dann auch die anderen Fraktionen für diese breite Zustimmung.
Der Beschluss besteht aus verschiedenen Teilen. Ein Teil, der meiner Meinung nach von besonderer Bedeutung ist, wird in der Berichterstattung nicht so richtig deutlich.
Nämlich, dass es um ein Zusammenwirken der Stadt mit Bürger*innen, Firmenbesitzer*innen und Immobilienbesitzer*innen geht.
In dem Zeitungsbericht wird betont, was der Magistrat tun soll, was dann die Stadtverwaltung tun soll, dass es um ein Konzept geht, was koordiniert abgearbeitet werden soll.
Was nicht erwähnt wird: Jede Hausbesitzer*in kann und darf sofort loslegen, eine Solaranlage auf das eigene Haus zu bauen, sollte sich dazu beraten lassen, z.B. bei der Bürgersolarberatung https://buergersolarberatung.de/
oder der Stadt und dann die Anlage bauen lassen. Teil des beschlossenen Konzepts ist es ja, dass die Stadt genau darum bei den Bürger*innen wirbt.
Es ist also nicht so, dass Bürger*innen warten sollen, was die Stadt plant und beschließt und dann weiter warten, was die Stadt tut und was sie koordiniert vorschlägt. Nein, jede Hausbesitzer*in, die vielleicht noch einige Tausend € angespart hat, wofür sie eh keine Zinsen kriegt, kann anfangen!
Gerade jetzt am 2.6.21 hat das Finanzministerium (endlich!) beschlossen, dass man für kleine Solaranlagen keine Gewinn- und Verlustrechnung bei der Steuererklärung mehr ausfüllen muss, dass man keine „Gewinnerzielungsabsicht“ haben muss, dass vielmehr bei einer kleinen Solaranlage „grundsätzlich eine steuerlich unbeachtliche Liebhaberei vor“-liegt. Wer also nicht so genau rechnen muss und sich eine solche Anlage aufs Dach setzen will einfach, weil er es für sich als eine Handlungsmöglichkeit gegen die Erderhitzung betrachtet, hat jetzt die offizielle „Erlaubnis“ dazu. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Steuerarten/Einkommensteuer/2021-06-02-gewinnerzielungsabsicht-bei-kleinen-photovoltaikanlagen-und-vergleichbaren-blockheizkraftwerken.html
Also: Wer die Möglichkeit hat – sofort anfangen! Die Zeit drängt!
20.5.21 Kreative Lösungen neu suchen! von Otto Merkel
Am 19.5.21 erschien im BA ein großer Artikel „Kritik an Erweiterung von Stubenwald II“. Verschiedene Naturschutzverbände argumentierten vehement gegen die Erweiterung des Gewerbegebiets zugunsten der Ansiedlung der Firma Sanner.
Die Aussagen der Naturschutzverbände haben mich erstmal in einen Zwiespalt gestürzt. Ich bin ja seit über einem Jahr dabei in der AG Flächenschutz, die die erwähnte Resolution zum Flächenschutz ausgearbeitet hat. Und trotzdem überkommt mich bei einigen der geäußerten Ansichten ein mulmiges Gefühl.
Nimmt man nur die Natur in den Blick, so ist es völlig klar, dass man gegen eine neue Bebauung und Versiegelung sein muss, auch wenn man nicht alle Argumente samt Hintergrundwissen voll beherrscht. Und es ist wohl auch wichtig, dass es Menschen gibt, die diese Perspektive voll und ausschließlich vertreten. Und vielleicht ist das die Rolle von Naturschutzverbänden.
Es gibt in meinen Augen schon auch noch andere Belange. So ist in diesem konkreten Fall für mich von Bedeutung, dass es hier darum geht, eine in Bensheim ansässige Firma und damit deren Arbeitsplätze in Bensheim zu halten. Es wäre etwas anderes, Flächen auszuweisen, um neue Firmen anzulocken, wie das bei Stubenwald I und II wohl häufig der Fall war.
Es gibt aus dem Bereich der Psychologie einen Konfliktlösungsansatz – nicht nur für einzelne Menschen, sondern auch für soziale oder politische Systeme geeignet -, bei dem man sich, sehr einfach ausgedrückt, zuerst ganz auf die eine Seite schlägt, also hier auf die Seite der Natur. Und dann danach schlägt man sich ganz auf die andere Seite, hier also die Entwicklung der Firma und den Erhalt der Arbeitsplätze. Sodann geht man auf eine dritte Position, bei der man davon ausgeht, beide Belange könnten gleichermaßen beachtet werden und schaut, was einem da einfällt. Hierfür hat sich auch Annette Modl ausgesprochen: „Durch kluge Planungen mit intelligenten Strukturen könne man räumliche Entwicklung und biologische Diversität gleichermaßen berücksichtigen.“ Dann geht man in diesem Entscheidungsmodell auf eine vierte Position, bei der man davon ausgeht, beide anfänglichen Alternativen sind irgendwie unpassend und schaut, was einem aus diesem Blickwinkel einfällt. Und dann kann man sogar auf eine fünfte Position gehen und davon ausgehen – aber das klingt sehr verrückt und kann man kaum verstehen –, alle diese vier Alternativen sind unpassend und man müsste etwas noch ganz anderes finden.
Diese Methode hat ein großes Potential, neue und kreative Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Zum Beispiel könnte man fragen:
- Gibt es nicht doch noch andere Grundstücke hier in Bensheim, die für die Firma Sanner geeignet wären?
- Muss man denn Firmen erlauben, große Grundstücke zu kaufen, von denen ein guter Teil erst mal brach liegen bleibt für zukünftige Erweiterungen? Könnte man von Firmen nicht erwarten, zukünftige Erweiterungen nicht in der Fläche zu tätigen, sondern in die Höhe oder in irgendwelche intelligente Produktionsveränderungen, die keine zusätzliche Fläche benötigen?
- Könnte man in diesem Sinne nicht eine Firma dazu bringen, eine Brachfläche wieder zurückzugeben und damit Platz zu schaffen?
- Könnte die Produktions- und auch Gebäudeplanung der Firma Sanner nicht so verändert werden, dass die Firma auf der seitherigen Fläche sehr wohl eine angemessene Entwicklung verwirklichen könnte?
Wahrscheinlich werden Fachleute nur den Kopf schütteln über diese von keiner Sachkenntnis getrübten Fragen. Aber vielleicht könnten sachkundige Personen noch mal neu diese vier (oder fünf) obengenannten Positionen durchgehen und vielleicht kommen sie auf bessere Ideen oder Fragestellungen, die man nochmal genauer überprüfen könnte. Politik und Verwaltung neigen dazu, eine Lösung zu präsentieren und alles andere als unmöglich und nicht machbar hinzustellen. Gelegentlich kommt später durch Zufall heraus, dass eine andere Lösung doch möglich gewesen wäre (Beispiele: Kindergarten Schwanheim/Fehlheim oder Schließung Weiherhaus). Wichtige Entscheidungen sind es Wert, Aufwand zu treiben und noch einmal neu nach kreativen Lösungen zu suchen!
10.5.21 Zwischen Schiene und Autobahn unterscheiden von Otto Merkel
Kommentar zu BA-Artikel: Mensch vor Verkehr warnt vor erheblicher Waldvernichtung (8.5.21)
Wenn man sich stark von seinen Gefühlen leiten lässt, tut es einfach weh und ist es schlimm, wenn Wald abgeholzt wird. Wenn man sich von seinen Gefühlen leiten lässt und gleichzeitig die Dinge stärker auch gedanklich in ihren vielfältigen Zusammenhängen zu begreifen sucht, so bleiben immer noch „die größten Bedenken“ bei solchen großen „Zerstörungen und negativen Beeinflussungen großer Waldbereiche“.
Man könnte jedoch auch zu einer wichtigen Unterscheidung kommen: Eine Abholzung zugunsten des Schienenverkehrs, so schlimm sie auch ist, ist hinzunehmen, weil der Schienenverkehr die Mobilität umweltfreundlicher machen kann. Ganz anders die Abholzung zugunsten des Autoverkehrs. Eine Verbreiterung der Autobahnen ist für mich somit ein Irrsinn im Quadrat, auch die Verbreiterung von sonstigen Straßen extrem bedenklich.
Schade, dass die Umweltverbände diese Unterscheidung nicht so ganz deutlich zum Ausdruck gebracht haben.
In einer Zukunft, die die Erderhitzung stoppt und die Biodiversität schützt, findet die Mobilität der Menschen überwiegend im öffentlichen Verkehr statt, bei kleineren Strecken natürlich auch viel mit dem Fahrrad. Und der Güterverkehr ist insgesamt verringert, weil die Wirtschaft sich mehr in regionalen Kreisläufen bewegt. Und der Gütertransport, der weiterhin über größere Strecken erfolgt, benutzt in hohem Maße die Schiene – jetzt mal von Schiffen abgesehen.
5.2.21 Nach vorne schauen oder besser in viele Richtungen? von Otto Merkel
Immer wieder hört man von hohen Politikern oder Wirtschaftsbossen: „Jetzt müssen wir aber nach vorne schauen!“ Oft sagen sie das, wenn sie kritisiert wurden oder ein Schlamassel aufgedeckt wurde, für das sie verantwortlich sind. Der Spruch dient dann dazu, Kritik abzuwehren, sich mit ihr nicht auseinandersetzen zu müssen. So bekommt dieser Spruch einen unangenehmen Beigeschmack.
Ich habe diese Methode, in die Richtung zu schauen, wo man hinwill, zuerst in einem ganz anderen Zusammenhang kennengelernt. In meinen Beruf als Erziehungsberater hatte ich immer wieder mit Menschen zu tun, deren ganzes Denken, Sprechen, Fühlen und Handeln um ihre Probleme kreiste und sie keinen Ausweg fanden. Da freute ich mich, wenn sie sich darauf einlassen konnten, darüber zu sprechen, wo sie hinwollten, wie sie sich ihre bessere Zukunft vorstellten. Und noch mehr, wenn sie Anzeichen in ihrem Leben entdecken konnten, dass sie schon auf dem Weg dorthin sind. Damit, fand ich, hatten sie schon sehr viel gewonnen.
Somit würde ich sagen: Wenn Menschen sich allzu intensiv mit Problemen befassen, immer wieder sich davon anziehen lassen, darüber die eigene Orientierung verlieren, dann ist es sehr wertvoll, wenn sie dorthin schauen können, wo sie hinwollen. Natürlich ist es wichtig, sich zu vergewissern, ob man wirklich dorthin will. Aber wenn man darüber sicher ist, dann ist es gut, auch dabei zu bleiben und auf den Weg zu schauen, der dahinführt und vor allem auf den nächsten Schritt. Denn ein großes Ziel mag motivieren. Aber dieser Schwung bleibt nur erhalten, wenn man auch den nächsten Schritt findet.
Ich glaube immer mehr, dass eine solche Haltung oder Methode auch für die politische Arbeit nützlich ist.
Es gibt oft so viele unterschiedliche Einflüsse und Meinungen über diese oder jene Problembereiche, dass man sich leicht verheddern kann. Man wird verwirrt darüber, was jetzt wirklich wichtig ist. Man ist hin- und hergerissen zwischen den verschiedenen Ansichten. Man weiß nicht mehr, was einem wirklich wichtig ist, was man wirklich will.
Natürlich ist es für die politische Arbeit nützlich, über viele Themen Bescheid zu wissen, auch zu wissen, wie andere wichtige Personen oder Gruppierungen darüber denken. Um sicherer zu werden, wem man zustimmen kann oder von wem man sich abgrenzen sollte. Insofern ist der Blick in viele Richtungen notwendig.
Es kann aber auch passieren, dass man sich zu viel zumutet und darüber die eigene Orientierung verliert.
Man muss nicht mit jedem Menschen über alles sprechen oder sich mit jeder Meinung auseinandersetzen. Man kann auch sagen: Nein, will ich nicht, ist mir zu viel, interessiert mich jetzt nicht, ich glaube nicht, dass das weiterbringt.
Wenn wir daran denken, wie wir die Erderhitzung stoppen, so finde ich es ganz wichtig, dass sehr viele Menschen handlungsfähig sind, wissen, was das große Ziel ist und auch ihren individuellen nächsten Schritt klar vor sich sehen, damit sie ihn gehen können.
29.1.21 Wählen? Wohin? von Otto Merkel
Wie ich unsere Gesellschaft sehe
Hier in Deutschland leben einige im Überfluss und viele haben nur sehr wenig. Im Durchschnitt geht es uns materiell gut – verglichen mit Menschen in vielen anderen Ländern und auch verglichen mit den Verhältnissen bei uns vor vielen Jahren. Aber nur im Durchschnitt.
Einige wenige sind sehr reich und sehr mächtig. Entscheidende Dinge werden in verschiedenster Weise von ihnen so beeinflusst, dass ihre Macht und ihr Reichtum gesichert bleibt. Dieser große Einfluss der Reichen und Mächtigen ist im Einzelnen schwer zu erkennen.
Viele der hohen Politiker handeln so, dass diese Ungleichheit des Geldes und der Macht so bleibt. Aber sie sagen das nicht so. Sie betonen, was sie Gutes für uns alle tun, was ja durchaus nicht falsch ist – und lenken damit von dem anderen ab.
Zum Glück dürfen wir selber denken und uns fragen: In welche Richtung müsste unsere Gesellschaft gehen?
Ich finde am Wichtigsten:
Erderhitzung und Umweltzerstörung stoppen
Die Grenzen unserer Erde machen es zwingend nötig, dass unsere Wirtschaft sich grundlegend umstellt, die Treibhausgase radikal reduziert, nicht mehr weiterwächst, vielleicht sogar schrumpft – in einem entwickelten Land wie unserem. Auch unser Lebensstil muss sich aus der Fixierung auf den Konsum befreien!
Es wird nicht einfach werden, in diese Richtung umzusteuern. Aber wenn wir das nicht gezielt und konsequent in Angriff nehmen, werden die Umweltkatastrophen in der ganzen Welt und auch bei uns immer größer werden.
Hinweis auf einen kleinen Film:
https://www.jenseits-des-wachstums.de/startseite/
Diese großen Veränderungen sind nur erreichbar zusammen mit
Mehr Gleichheit und Gerechtigkeit
Es ist erwiesen, dass Menschen mit dem Erreichen eines relativen Wohlstands nicht glücklicher werden, wenn sie noch mehr Geld bekommen.
Und es ist erwiesen, dass Menschen am glücklichsten sind in Gesellschaften, in denen die Einkommensunterschiede nicht so groß sind. Insgesamt sollte
Ein gutes Leben für Alle
auf der ganzen Welt das Ziel sein.
Ich denke, es muss sich ganz viel ändern, aber so, dass es für die allermeisten besser wird. Wahrscheinlich muss das hauptsächlich und sehr vielfältig von der Zivilgesellschaft gemacht werden. Aber die Politik kann auch Entscheidendes beitragen – wenn wir sie dazu bringen. Deshalb ist es auch wichtig, wählen zu gehen, selbst wenn man die Einflussmöglichkeiten damit als verschwindend gering betrachtet. Aber es ist nicht sehr anstrengend, wählen zu gehen. Und immerhin leben wir in einer Gesellschaft, in der Wahlkandidaten nicht ermordet oder ins Gefängnis geworfen werden. Das ist nicht selbstverständlich!
Nutzen Sie deshalb diese Möglichkeit und
Wählen Sie eine Partei, die am ehesten diese großen Ziele ermöglicht!
Man kann notfalls auch eine Partei wählen, mit der man nur wenig übereinstimmt.
22.1.21 Die Autobahn verbreitern? von Otto Merkel
Am 19.1.21 veröffentlichte der Bergsträßer Anzeiger einen Artikel über die neue Bahntrasse und fügte eine große Fotomontage hinzu. Auf der war zwischen bestehender Autobahn A 67 und der geplanten Bahntrasse ein Streifen eingezeichnet, auf dem „Autobahnverbreiterung“ stand.
Mir ist das zuerst gar nicht aufgefallen. Abends in einem Treffen des Klimabündnis hat jemand darauf aufmerksam gemacht.
Wie selbstverständlich wird damit angenommen, dass der Autoverkehr weiter zunehmen wird. Im Sinne der üblichen Fortschreibung laufender Trends ist das ja wahrscheinlich richtig. Von der zunehmenden Erderhitzung aus gesehen, ist das jedoch absurd.
Es ist wichtig, dass wir in unserem Kopf dies als wirklich verrückte Idee überhaupt erkennen. Wenn wir die Erderhitzung auch nur halbwegs stoppen wollen, müssen wir den Autoverkehr reduzieren, auch wenn er dann demnächst mit Batterien oder Brennstoffzellen erfolgt. Wir müssen den Güterverkehr viel mehr auf die Bahn verlagern und durch mehr lokale und regionale Produktion auch insgesamt reduzieren. Auch der PKW-Verkehr muss drastisch reduziert werden zugunsten von Bahn, Bus, Fahrrad und Fuß. Das Wuppertal-Institut hat im letzten Herbst im Auftrag der Fridays for Future ein Gutachten zu der Frage erstellt, was in Deutschland getan werden muss, um das 1,5°- Ziel noch zu erreichen. Darin schreibt es, dass der PKW-Verkehr bis 2035 um 50% reduziert werden muss.
Vielleicht ist das erklärungsbedürftig. Viele denken ja, na gut, da stellen wir halt auf E-Autos um, die Laster vielleicht auf Brennstoffzellen. Damit sind wir doch klimaneutral. Und gut ist’s.
Die seitherige Erfahrung zeigt, dass die technologische Entwicklung hin zu sparsamerem Verbrauch von Treibhausgasen oder Material damit einhergeht, dass die Einsparungen an anderer Stelle wieder aufgefressen werden. E-Autos werden z.B. groß und schwer wie SUVs gebaut mit entsprechend großen und schweren Batterien – und damit viel aufwendig zu gewinnenden Materialien wie Lithium – statt kleine und leichte Autos zu produzieren. Insgesamt ist nicht ausschlaggebend für den Klimaschutz, um wieviel klima- und umweltfreundlicher ein Gerät ist, sondern wie jeder einzelne Mensch die klimafreundlicheren Geräte benutzt. Also auch, wie viele er hat und wie ausgiebig er sie benutzt. Die persönliche CO2-Bilanz oder der ökologische Fußabdruck jeder Person ist entscheidend. Die müssen radikal runtergehen!
12.1.21 Für Wohnungen sorgen ohne Flächen zu versiegeln von Otto Merkel
Es gibt in Bensheim eine Initiative, die sich „Rettet Bensheim“ (www.rettet-bensheim.de) nennt und die das Ziel hat, eine „Südstadt“ zu verhindern. Das ist der Plan, Richtung Heppenheim, südlich der Schwarzwaldstraße, zwischen der B3 und der Bahn, bis hin zu den Kleingärten, ein neues Wohngebiet vorzusehen.
Das Ziel dieser Initiative ist auf jeden Fall zu unterstützen. Dass man damit gleich Bensheim „rettet“, finde ich unpassend, eher rettet man ein Stück Natur und Boden.
Kommunalpolitiker sind oft in der Situation, dass sie wichtige Ziele verfolgen müssen, die im Widerspruch zueinanderstehen. So kann es passieren, dass man dringend benötigte Wohnungen schaffen will und das so wichtig nimmt, dass der Schutz des Bodens hinten runterfällt. Weil man denkt, dass man halt bauen muss.
Ich finde, man sollte vielfältiger nach Lösungen suchen.
Die „Bürger für Bensheim“ haben vor einiger Zeit einmal eine ganze Reihe von Möglichkeiten vorgeschlagen, wie man Wohnraum schaffen kann ohne neue Flächen außerhalb zu versiegeln. Warum kann man denn nicht Wohnungen bauen durch Aufstockung von Einkaufszentren – und dabei die Dächer gleich noch mit Solaranlagen bestücken? Warum versiegelt man so viele große Flächen, nur damit da Autos gelegentlich drauf rumstehen können? Sind die denn wichtiger als Menschen, die Wohnungen brauchen? Vielleicht kann man da ja auch Wohnungen drüber bauen, wenn man die armen Autos nicht gleich obdachlos machen will?
Es gibt einen Aspekt, der sicherlich nicht einfach anzugehen ist, an den man aber auch denken sollte: Muss denn die Wohnfläche pro Person auch in der Zukunft immer weiter steigen wie seither? (1998 38m², 2019 47m²). Wenn man Kinder bekommt, steigt der Bedarf an Wohnfläche. Wenn sie ausgezogen sind, man vielleicht auch noch den Partner verloren hat, braucht man nicht mehr so viel. Manche älteren Menschen leben allein in einem Haus, das früher für eine ganze Familie gebaut oder gekauft wurde, ein Haus, an dem die Bewohner verständlicherweise hängen, das sie aber in der Größe gar nicht mehr richtig bewohnen können, vielleicht auch den Garten kaum noch pflegen können. Und einen Teil zu vermieten geht wegen des Zuschnitts der Zimmer nicht. Was macht man, solchen Menschen zu helfen, eine kleinere und barrierefreie Wohnung anzubieten – möglichst in der Umgebung – und sie zu motivieren, umzuziehen? Damit würde man Wohnungsleerstand abbauen und bedarfsgerechtes Wohnen ermöglichen – ohne Neubau.
Ich war die letzten Monate in einer AG Flächenschutz beteiligt und wir haben eine Resolution ausgearbeitet, die am 16.1.21 auf der 2. Biodiversitätskonferenz zur Abstimmung steht. Da haben wir eine Menge ausgeführt, wie wichtig es ist, den Boden zu schützen und was die Kommunalpolitik tun kann, weiteren Flächenverbrauch zu stoppen.
8.1.21 Über den eigenen Schatten springen von Otto Merkel
Meine These ist: Um die Erderhitzung zu stoppen, ist es wichtig, dass sehr viele Menschen über ihren eigenen Schatten springen, wahrscheinlich auch mehrmals hintereinander.
Was ich damit meine?
Ich sehe die Dinge so, dass sehr viele Menschen etwas tun, den Klimawandel zu stoppen. Sie machen kleine Dinge oder größere. Sie machen das in ihrem privaten oder in ihrem beruflichen Bereich, allein oder in Gruppen, in kleinen Initiativen oder in formellen Zusammenhängen wie der Politik oder größeren Organisationen. Sie wissen oft nicht voneinander oder nicht so genau. Ich weiß das ja auch nicht so genau, wenn ich das hier so behaupte, aber ich bin ziemlich sicher, dass es so ist.
Angenommen, wir haben 2030 das Gröbste gegen den Klimawandel geschafft, dann werden wir rückblickend sehen, dass das auch dadurch gelungen ist, dass ganz viele Menschen über ihren eigenen Schatten gesprungen sind. Sie haben sich Aktivitäten angeguckt, die sie seither nicht kannten, sind über Brücken gegangen und haben ein bisschen geschnuppert oder mitgemacht haben bei dem, was andere schon länger machten. Vielleicht Dinge, die ihnen zuerst suspekt vorkamen. Es war vielleicht unbequem, über so eine Brücke zu gehen. Sie kamen sich komisch vor, wie wenn sie was Falsches machten. Aber sie haben es gemacht.
- Da gibt es den Rentner, der in seinem Garten buddelt und sich bemüht, ihn möglichst naturnah zu gestalten. Dem es überhaupt nicht liegt, auf eine Demo zu gehen und der es dann doch mal macht.
- Da gibt es die Frau, die mit großer Ausdauer und schon seit Jahren Flüchtlingen hilft, in unserem Land besser zurechtzukommen. Und die natürlich damit auch beitragen will, dass jeder auf der ganzen Welt ein Recht auf ein gutes Leben hat. Sie will das aber nicht an die große Glocke hängen. Irgendwann läuft ihr aber dann doch die Galle über und sie schreibt einen Leserbrief. Und zu ihrer Überraschung stellt sie fest, dass sie daran gefallen findet.
- Da ist die Wissenschaftlerin, die sich gerne in gründliche Analysen vertieft und entsprechend gründliche Analysen der politisch-ökonomischen Problemlagen schreibt und auch Vorträge hält. Irgendwann erklärt sie sich bereit, dem örtlichen Repair-Café die Webseite zu gestalten und zu pflegen.
- Da gibt es die langjährige Gewerkschafterin, die sich im Klimabündnis engagiert und sich dafür einsetzt, dass Klimamaßnahmen sozialverträglich gestaltet werden, gerade, weil das manchmal schwierig scheint.
- Da gibt es den Mann, der voll im Beruf eingespannt ist und auch gern mit seinen kleineren Kindern Zeit verbringt. Immer mal wieder unterschreibt er Petitionen im Internet. Das geht schnell. Zu mehr hat er keine Zeit. Als dann aber in seiner Stadt eine Klimademo stattfindet, geht er hin.
- Da gibt es die Frau, die mit großer Energie dafür sorgt, dass in der eigenen Familie Plastik vermieden wird und überhaupt Verpackungen. Sie kennt sich da inzwischen sehr gut aus. Sie möchte nicht so an die Öffentlichkeit. Sie findet dann aber einen Weg, bei einer NGO im Büro und im Verfassen von Texten mitzuarbeiten.
- Da gibt es den Handwerker und Tüftler, der mit immensem Arbeits- und auch Geldaufwand sein altes Haus mit Wärmedämmung, Photovoltaik und Erdwärme und allem restauriert hat und gerne diese Erfahrungen weitergibt und sich als Bürgersolarberater engagiert. Obwohl er denkt, das liegt ihm gar nicht, engagiert er sich irgendwann dann doch im Ortsbeirat.
- Da gibt es den radikalen konservativen Naturschützer, dem Windräder ein Gräuel sind. Er lebt auf dem Land, hat seinen eigenen Garten, seine eigenen Hühner. Aber Strom braucht er schließlich auch. So lässt er sich eine Solaranlage aufs Dach montieren. Und wie er erlebt, wie der Wald vor die Hunde geht, kommen ihm doch Zweifel, wie lange das mit dem Autofahren noch weitergehen kann.
- Da ist der renommierte Wissenschaftler und Leiter des Wuppertal Instituts (Herr Schneidewind), der diesen Job aufgibt, sich zum Oberbürgermeister wählen lässt, um sein Wissen in der praktischen Veränderungsarbeit anzuwenden.
- Da ist die junge Frau, die die Schnauze voll hat, wie die Politiker und auch die meisten Leute immer noch nicht wahrhaben wollen, was doch wissenschaftlich so klar ist, dass die Klimakatastrophe unser aller Leben bedroht, und sich entschließt, bei Blockaden von „Extinction Rebellion“ mitzumachen, auch wenn sie damit vielleicht ihren Job riskiert.
Das sind nur einige Beispiele, auf die ich mit meinem beschränkten Erfahrungshorizont gekommen bin. Ich bin sicher, es gibt noch Tausende anderer. Vielleicht regt es an, Möglichkeiten im eigenen Lebensbereich zu finden oder zu entwickeln:
Schritte, die die vielen verschiedenen Menschen und Gruppen mehr miteinander verbinden und damit die gemeinsame Veränderungsmacht erhöhen. Das braucht’s.
1.1.21 Was ist das Gegenteil von „Teufelskreis?“ von Otto Merkel
Unter einem Teufelskreis kann sich jeder was vorstellen: Es passiert was Unangenehmes, ich bin davon betroffen und durcheinander und dann passiert mir gleich noch ein Missgeschick. Oder: Das eine Unheil kommt, dann noch eins und noch eins und es wird alles immer schlimmer. Es fühlt sich so an, als käme man da nie mehr raus.
Und das Gegenteil von Teufelskreis? Ich kenne kein geläufiges deutsches Wort dafür. Die Erfahrung dieses Gegenteils, denke ich, ist aber durchaus bekannt, auch wenn es kein Wort dafür gibt.
Im direkten zwischenmenschlichen Austausch sagt man z. B „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch heraus.“ Wobei, diesen Spruch verwendet man für Negatives, kann ihn aber auch für Positives verwenden.
Unter dem Stichwort Pygmalion-Effekt wurde schon lange das Phänomen erforscht, dass Schüler, denen eine Lehrerin gute Leistungen zutraut, auch tatsächlich bessere Leistungen entwickeln. Der Schüler freut sich, die Lehrerin auch.
Gilt das auch im größeren gesellschaftlichen Kontext?
Ich finde ja.
Aber es ist oft nicht sicher zu erkennen, eher nur zu vermuten. Und die Beobachtungen hängen nur ganz indirekt zusammen oder man kann den Zusammenhang nur vermuten.
Ein Beispiel aus der größeren Politik ist für mich, dass die Bundespolitik im Sommer 2020 keine Abwrackprämie für Autos ähnlich wie in der Krise 2007/2008 beschlossen hat, trotz Lobbydruck. Da hat die Klimabewegung in der Zwischenzeit schon etwas erreicht, so dass die konkreten Proteste gegen eine solche Prämie dieses Mal Erfolg hatten. Ein Fortschritt im allgemeinen Diskurs hat diesen konkreten Erfolg ermöglicht oder erleichtert. Wobei ein kürzlicher Kommentar sagt, dass der Erfolg doch nicht so groß war. Allerdings der Gewinn für die Autoindustrie wegen handwerklicher Fehler auch ziemlich in die Hosen ging.
Ein anderes Beispiel:
Daniel Bannasch, Vorstand bei MetropolSolar, jemand, der seit vielen Jahren auf Veranstaltungen über die Energiewende referiert, berichtete vor gut einem Jahr: „Es ist offensichtlich, dass das Thema Klima und Energie zurzeit eine völlig andere öffentliche Aufmerksamkeit erhält, als noch vor einem Jahr. Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass über Veranstaltungen der vergangenen Woche mit MetropolSolar […] ausführlich berichtet wurde – und zum Teil/im Wesentlichen sogar so, dass man die Veranstaltungen wiedererkennen konnte und wichtige Botschaften transportiert wurden […]. Dieses Glück hat man bei Presseberichterstattungen ja nicht immer.“
Was für mich heißt: Die wesentlich durch die Fridays for Future und die erschreckend trockenen Sommer in Gang gekommene Klimaschutzbewegung hat die öffentliche Meinung verändert, sogar ein winziges bisschen die große Politik und das zeigt sich auch wiederum bei lokalen Veranstaltungen und der Berichterstattung der Presse.
So fördert das eine das andere.
Ingo Arzt schrieb im Hinblick auf Investitionen zum ökologischen Umbau der Wirtschaft: „Der ökologische Umbau der Wirtschaft funktioniert am Ende vielleicht ähnlich wie das Klima selbst: mit Kipppunkten, sich selbst verstärkenden Wechselwirkungen. Jedes Unternehmen, das sich aufmacht, klimaneutral zu werden, verstärkt den Druck auf die Politik, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Was wieder mehr Investoren lockt, mehr Unternehmen zum Umdenken bringt. Immer, wenn das Rad stockt, treiben Proteste es wieder an. So könnte es gehen.“
Es muss nicht so gehen, es könnte. Sicherlich ist es auch wichtig, immer wieder genau hinzuschauen, damit man nicht im Wolkenkuckucksheim landet, sondern weiterhin mit beiden Füßen auf der Erde steht.
Man kann ja beides abwechselnd machen. Einmal mit positiver Erwartung Ausschau halten, etwas entdecken, sich davon antörnen lassen, entsprechend handeln und dann auch wiederum die Verhältnisse möglichst realistisch betrachten.
Ein Beispiel, das noch etwas in die Zukunft ragt:
Überraschenderweise wurde in Bensheim eine neue Bürgermeisterin gewählt, die doch etwas mehr verstanden hat, was für das Klima zu tun ist. Vielleicht wird es damit leichter, dass bei der Landratswahl im März etwas ähnliches passiert!
Man könnte das Ganze als Handlungsvorschlag auch völlig anders ausdrücken:
Scanne Dein soziales und gesellschaftliches Umfeld nach Ereignissen durch, die zumindest ein klein wenig zeigen, dass es voran geht Richtung Klimaschutz. Guck Dir das genauer an, nimm es richtig in Dich auf und freue Dich darüber. Nimm den Schwung und mache, was Dir als nächstes einfällt in dieser Richtung. Irgendwann später guck noch mal nüchtern hin, wie sicher es ist, dass dieses Ereignis wirklich ein Fortschritt darstellt. Oft ist das schwer zu sagen. Mach das vor allem, wenn Du andauernd und in Massen Fortschritte entdeckst. Vielleicht steckst Du gerade in einer euphorischen Phase. Wenn Du umgekehrt überhaupt keinen Fortschritt entdeckst, dann hol Dir eine Lupe und nimm Dir ganz viel Zeit, bis Du wenigstens ein winziges Goldkörnchen entdeckst. Guck es Dir lange und genau an.
18.12.20 Wie ich im Jahre 2030 im klimaneutralen Bensheim lebe von Otto Merkel
Ich lebe – falls ich dann noch lebe – mit 82 Jahren mit meiner Frau in einer barrierefreien Wohnung in einem Wohnprojekt. 2022 hatte die Stadt sich entschlossen, ein größeres Grundstück mit einem Gebäude-Ensemble in Erbpacht an eine Gesellschaft zu vergeben, die sich bereiterklärt hat, in Zusammenarbeit mit der Wohnvision Bergstraße ein generationenübergreifendes Wohnprojekt zu realisieren. Als das dann 3 Jahre später grundlegend saniert bezugsfertig war, verkauften wir unser Reihenhaus und zogen dort ein. Das Haus hat Passivhausstandard, eine aufgeständerte Photovoltaikanlage auf dem ansonsten begrünten Dach und an der Südfassade ebenfalls Photovoltaik. Die Heizung besteht aus einer Wärmepumpe mit Erdwärme. Wir haben 3 Zimmer, barrierefrei, das passt für uns. Wenn unsere Kinder kommen, so können sie in der Besucherwohnung des Wohnprojekts wohnen. Das ist toll. Da brauchen wir kein Gästezimmer. Wenn wir wollen, können wir in den Gemeinschaftsraum des Wohnprojekts gehen, wo meistens einige Leute sitzen. Auf Drängen meiner Frau habe ich beim Umzug viele alte Sachen aussortiert und weggeschmissen. Das fiel mir schwer. Jetzt haben wir nur noch einen ganz kleinen Keller. Es gibt eine große Garage für die ganzen Fahrräder. Waschmaschinen stehen im Keller. Unser Auto haben wir schon 2022 abgeschafft, als es mit größeren Reparaturen losging. Zum Glück kann ich noch mit meinem E-Bike fahren. Wenn wir es mal brauchen, holen wir uns beim Carsharing ein E-Auto. Ich bin ja ein ziemlich einsiedlerischer Mensch. Aber mit einigen im Wohnprojekt habe ich mich doch etwas angefreundet. Wir spielen abends manchmal miteinander oder laden uns zum Essen ein oder gucken zusammen Fernsehen.
Inzwischen ist in Bensheim das 4. gemeinschaftliche Wohnprojekt fertig geworden. Es spricht sich rum, welche Vorteile sowas hat und von der Kommunalpolitik werden solche Projekte jetzt soweit möglich unterstützt. In Heppenheim gibt es auch schon 3, in Lorsch 2 und in Zwingenberg 1. Es ist vor allem für ältere Leute gut. Sie brauchen nicht allein oder zu zweit in Häusern zu wohnen, die zu groß sind nach dem Auszug der Kinder. Die Stadt kümmert sich sehr intensiv um ältere Leute, die allein in einem großen Haus wohnen, um ihnen eine passendere Wohnung in der Umgebung anzubieten. Wenn sie sich zu einem Umzug entscheiden, wird auch wieder Platz frei für junge Familien, ohne dass man neu bauen muss. Das schont die Ressourcen und den CO2-Ausstoß, denn die Zementproduktion ist noch lange nicht vollständig klimaneutral.
Wir wohnen so, dass ich mit dem Fahrrad oder auch zu Fuß (gerade so) in die Stadt gehen kann.
Wir holen immer noch einen Großteil von unserem Gemüse und Salat bei der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) Hoxhohl. Inzwischen gibt es 5 Solawis, die nach Bensheim liefern, 3 aus dem Ried und 2 aus dem Odenwald. Alles Biogemüse. Auch auf dem Markt gibt es Biogemüse aus der Region. Und auch die großen Supermärkte haben sich umgestellt und verkaufen viel mehr Bio-Gemüse aus der Region. Sie mussten das machen, weil die Leute es einfach wollten. Die nehmen jetzt auch den organisatorischen Aufwand in Kauf, von kleinen Produzenten kleine Mengen aufzukaufen. Man kriegt auch nicht immer alles. Die Leute haben sich tatsächlich mehr an saisonale Angebote gewöhnt. Aber es gibt auch technisch raffinierte Gewächshäuser in der Gegend, z.B. in Bürstadt, die mit Sonnenenergie und Erdwärme völlig klimaneutral funktionieren und dazu noch Fische züchten. Das gab es früher nicht!
Angeregt durch den Ernährungsrat, der 2021 gegründet wurde, um die Ernährung insgesamt und speziell auch in Mensen und Kantinen mehr auf regionale und ökologische Produkte umzustellen, kam 2022 ein interessantes Projekt in Gang. Die Kita in der Eifelstraße, bei der es auch damals schon ein Drop-in gab, beschloss, selber zu kochen. In Kooperation mit dem Jobcenter wurde alleinerziehenden Frauen eine Schulung und teilweise auch Arbeitsmöglichkeiten angeboten, um zu lernen, wie man auch mit wenig Geld gesund und ökologisch kocht. Diese Kurse wurden in die Küche der Kita integriert. Die Kübel-Stiftung hat das Projekt evaluiert und es ergaben sich vielfältige positive Effekte hinsichtlich Gesundheit von Kindern und Eltern, verbessertem Zusammenleben und Lebenszufriedenheit. Die Kübel-Stiftung hat daraufhin beschlossen, ihre Drop-ins auch andernorts, wenn möglich mit solchen Projekten zu verknüpfen.
Wenn man in die Stadt läuft, so ist das heutzutage viel bequemer und sicherer. Die Autos sind fast alle ganz leise, weil elektrisch, es gibt auch viel weniger davon und sie fahren viel langsamer. Viele Gehwege sind breiter und die Radfahrer haben abgetrennte Fahrradwege, breit und glatt. Sie sind auch nicht mehr zugeparkt. Wer ein Auto sieht, das falsch parkt, zückt sein Handy, macht ein Foto und schickt es der Polizei. Dann gibt es einen Knollen. So wurde erreicht, dass die Fahrrad- und Gehwege nicht mehr zugeparkt sind. Das haben sie 2024 eingeführt.
Das Neumarktcenter, das früher aus Spekulationsgründen überwiegend leer stand, heißt jetzt „Längerleben-Centrum“. Da ist immer viel los. Es gibt eine Fahrradreparaturwerkstatt, da kann man sein eigenes Fahrrad reparieren und bekommt auch geholfen, wenn man es nicht alleine kann. Da sind besonders viele junge Leute und auch in dem „Elektronikschuppen“. Dort werden Handys und was es so alles gibt repariert, soweit möglich und man kann gebrauchte Sachen loswerden und auch kaufen. Auch kleinere Elektrogeräte. Daneben ist ein Verleih-Büro, in dem man auf Zetteln massenweise Hinweise findet, wo und bei wem man welches Gerät mal ausleihen kann und da sitzt auch jemand, die das managt. Aber alles findet man auch im Internet. In das Centrum gehen nur die hin, die mit dem Internet noch immer nicht zurechtkommen.
Daneben gibt es einen „Umsonst-Laden“, da kann man stöbern und Sachen umsonst mitnehmen, aber auch Sachen abgeben. Aber da passt schon jemand auf, dass die Leute nicht nur irgendwelchen Schrott abgeben. Elektronikschrott kann man gleich daneben abgeben, also kleine Sachen, die man locker tragen kann. Der Unterschied zu früher ist, dass Leute da sind, die die Sachen untersuchen, ob man sie noch reparieren kann. Wenn das geht, wird das gemacht und sie werden wiederverkauft.
Im Obergeschoß gibt es Räume für Yoga, Qigong, Gymnastik, Singen, auch Lach-Yoga und ähnliches, denn das hilft auch zum „Längerleben“. Die Stadtbibliothek ist auch noch im Gebäude. Das passt gut zusammen.
Das Ganze wird von der Stadt unterstützt. Es gibt auch feste Vereinbarungen mit Handwerkern, die spezielle und schwierigere Reparaturen übernehmen.
Pakete werden in Bensheim übrigens nur noch von einem Lieferdienst mit großen Lasten-E-Bikes ausgeliefert. Die Lieferdienste haben sich zusammengeschlossen, das für den letzten Kilometer so zu organisieren. Dazu gab es 2023 ein Gesetz, in dem das geregelt wurde. Damals sind sie zum Glück von dem Schwachsinn weggekommen, als ob nur die Konkurrenz Kundenfreundlichkeit und Innovationen bringen würde, auch wenn dann 4 Lieferdienste im selben Viertel rumkurven, die Luft verpesten und unnötig viele Leute da gestresst und unterbezahlt rumfahren.
Seit die EU-Regeln für Autos 2024 geändert wurden, gab es ab 2027 keine neuen SUV’s und keine neuen Verbrenner mehr. Die neuen E-Autos sind meist viel kleiner. Aber es gibt auch größere, für große Familien oder alle möglichen besonderen Zwecke. Immer mehr Leute nutzen Carsharing.
In der Taunusanlage entstand 2022 das erste „Urban Gardening-Projekt“. Da gab es eine Projektgruppe, die Druck gemacht hat und dann wurde es kommunalpolitisch aufgegriffen. Das war nicht so einfach, bis die Leute begriffen, dass sie sich auch an Regeln halten mussten. Das Gelände hat einen Zaun, damit keine Hunde reinrennen. Und es gibt eine Beaufsichtigung von Anwohnern, die sich abwechseln und die Leute kennen. Die sorgen dafür, dass nur Anwohner dort ernten und auch nur in Maßen. Und dass auch immer genügend Leute bereit sind, dort im Garten zu arbeiten, die Saatbeete gekennzeichnet sind usw. Einige Male gab es bösen Ärger und Rückschlage, fast wollte man es aufgeben, aber seit etwa 3 Jahren funktioniert es sehr gut.
Um leidige Auseinandersetzungen wie um den Marktplatz damals um 2020 rum in Zukunft in eine gute demokratische Form zu bringen, beschloss die Stadtverordnetenversammlung im Herbst 2021 ein erweitertes Bürgerbeteiligungsverfahren nach dem Prinzip des systemischen Konsensierens. Das Bürgernetzwerk bekam dadurch eine neue, befriedigendere Aufgabe. Wenn mindestens 100 Unterschriften von Bürger*innen für ein bestimmtes Anliegen vorliegen, organisiert das Bürgernetzwerk 5 aufeinanderfolgende öffentliche Workshops, bei denen auch Fachleute zu dem Thema hinzugezogen werden und die beteiligten Bürger*innen zwei oder mehrere gut fundierte Alternativen zu dem ursprünglichen Anliegen ausarbeiten. Diese Alternativen werden dann in einem neu konzipierten Bürgerentscheid allen Bürger*innen zur Abstimmung vorgelegt. Die Bürger*innen werden nicht um ihre Zustimmung gefragt, sondern drücken bei dieser Wahl das Ausmaß ihrer Ablehnung gegenüber jeder der Alternativen aus, indem sie eine Zahl von 0 bis 10 vergeben. Keinerlei Unzufriedenheit erhält die Zahl 0, extreme Unzufriedenheit 10. Man wählt also eine Zahl zwischen 0 und 10 für jede Alternative, um das Ausmaß seiner Unzufriedenheit oder Ablehnung auszudrücken. Die Punktzahlen werden zusammengezählt und die Alternative mit den wenigsten Punkten sollte genommen werden. Dieses Ergebnis wird dann mit den üblichen demokratischen Verfahren weiter behandelt. Die Sache ist zwar sehr aufwendig, aber der Vorteil ist, dass damit eine Lösung herausgefunden werden kann, gegen die es den wenigsten Widerstand in der Bevölkerung gibt.
Dieses Verfahren wurde dann erstmals 2022 für die Gestaltung des Marktplatzes durchgeführt. Drei Alternativen wurden herausgearbeitet und auf die genannte Art zur Abstimmung gestellt. Das Ergebnis war sehr überraschend und es dauerte eine Zeitlang. Aber dann stellte sich eine große Zufriedenheit ein.
Das beschriebene Verfahren hat eigentlich nichts mit Klimaschutz zu tun, aber große Entscheidungen, die ja für den Klimaschutz nötig waren, konnten damit sehr gut vorbereitet werden, so dass dann danach auch die Zufriedenheit sehr groß war. Es ergab sich bald ein Problem, bei dem diese Methode angewandt wurde. Es entwickelte sich nämlich eine heftige Auseinandersetzung um die Umgestaltung des Beauner Platzes. Vor allem war umstritten, ob der Winkelbach hier wieder freigelegt werden sollte. Man griff auf das genannte aufwendige Bürgerbeteiligungsverfahren zurück und das Ergebnis war, dass die Freilegung am wenigsten störte. So wurde dann das dann auch realisiert. Erst 2028 wurde dieses Vorhaben beendet und jetzt haben wir eine schöne Grünanlage und ein verbessertes Kleinklima.
Letzt war ich mal auf dem ehemaligen Güterbahnhofgelände, wo Edeka, Aldi, DM, Alnatura und andere immer noch sind. Es sieht dort aber jetzt ganz anders aus. Die Märkte wurden aufgestockt, da wohnen jetzt Leute oben drüber. Die Parkplätze wurden verkleinert und auch mit Wohnungen überbaut und überall auf den Dächern wurden große Photovoltaikanlagen angebracht. Dazwischen gibt es einen kleinen Park mit Spielplatz. Das Gelände ist schon massiv bebaut, aber aufgelockert und begrünt. An einigen Fassaden stehen Bäume auf den Balkonen, fast wie ein senkrechter Wald!
Wenn man vom Kirchberg auf die Stadt runterguckt, fallen einem sofort die Solaranlagen auf ganz vielen Häusern auf. Der Bundestag hatte unter der damals neuen Regierung 2022 das EEG-Gesetz deutlich verändert. Das vorherige war ja noch unter der alten großen Koalition Ende 2020 beschlossen worden. Vor allem hatte man einen Haufen bürokratische Fesseln rausgeschmissen. So entstand ein richtiger Boom, Solaranlagen auf die Dächer zu bauen. Der Boom ist immer noch nicht ganz abgeebbt. Durch die technischen Weiterentwicklungen finden sie immer neue Möglichkeiten für Solaranlagen. Sie werden jetzt vermehrt auch an Fassaden angebracht, die Busse und auch PKW tragen Solaranlagen. Als letztes Jahr ein Teil des Berliner Ring neu asphaltiert wurde, haben sie als Pilotprojekt Solarmodule in die Fahrbahndecke eingebaut. Das hätte man früher nicht für möglich gehalten!
Die Stadt hat seit Jahren keine neuen Gewerbegebiete mehr ausgewiesen, auch keine neuen Wohngebiete außerhalb. Der Sanner-Umzug war die letzte Erweiterung. Das war ja auch höchste Zeit, mit der Zubetonierung der Landschaft aufzuhören!
Die Stadt fährt seit 3 Jahren eine Kampagne, dass diejenigen, die sehr viel Wohnraum in Anspruch nehmen, auf einen Teil ihres Wohnraums verzichten. Diese Kampagne ist sehr umstritten und das Ganze ist auch sehr schwierig. Es ist klar, dass die Menschen natürlich an ihren Häusern hängen! Und auch wenn Menschen bereit sind, in eine kleinere Wohnung zu ziehen, kann man eine luxuriöse Villa auch nicht ohne größeren Umbau einfach an 2 oder 3 Familien vermieten. Man muss bei der Kampagne langsam und stetig vorgehen. Man möchte ja, dass möglichst alle auch mit den nötigen Veränderungen zurechtkommen.
Auf dem alten Sannergelände haben sie übrigens ein schönes Wohngebiet eingerichtet, ohne Autos, mit viel Grün und Photovoltaik, eine gemeinschaftliche Wärme- und Kälteanlage mit zentralem Wasserspeicher. Bei der Hitze im Sommer heutzutage ist es wirklich nötig, auch im Sommer zu temperieren. Man kann dann kaum noch rausgehen, wenn es so heiß ist.
Der neueste Hit, seit 6 Monaten in Betrieb, ist der autonom fahrende Citybus. Dieser Kleinbus fährt im Schritttempo in einem Rundkurs vom Marktplatz die Hauptstraße runter bis zum Hospitalplatz, biegt dann in die Gerbergasse, Promenadenstraße, hinterm Bürgerhaus die Dalbergergasse hoch zur Hauptstraße und rechts runter wieder zum Marktplatz. Wer mitfahren will, winkt in einer bestimmten Weise und der Bus hält. Damit die Passanten den ganz leise fahrenden Bus beachten, spielt er leise die Lieder von dem Glockenspiel ab, das 2020 in der Georgskirche eingebaut worden ist. Deshalb wird der Bus auch „Der kleine Schorsch“ genannt und der Schorschblick ist seitdem umfassend gewährleistet.
10.12.20 Wichtig wäre ein Ranking nach Klimafreundlichkeit von Otto Merkel
Am letzten Samstag brachte der BA einen großen Artikel mit der Überschrift: „Top-Standorte: Bensheim weiterhin spitze – mit Heppenheim im Nacken“.
Der Bericht ging über eine Studie im Auftrag der Industrie- und Handelskammer Darmstadt, die die Mittelzentren Südhessens verglich. Ziel sei „eine Verbesserung der Standortbedingungen insgesamt und bessere Zukunftschancen für Unternehmen.“ Die Studie wurde bewusst im Vorfeld der Kommunalwahlen veröffentlicht. „Damit will die IHK die politische Debatte zu wirtschaftsfreundlichen Standortfaktoren in den Kommunen anheizen.“
Warum nicht?
Es ist beliebt und wohl auch tief in uns verwurzelt, möglichst der Beste oder die Tollste sein zu wollen. Und so ist es auch naheliegend, Städte oder Gemeinden zu vergleichen.
Was mich stört, ist die Einseitigkeit.
Warum gibt es nicht auch eine Studie, die die soziale Lage oder die Zufriedenheit der Menschen in ähnlicher Weise untersucht?
Oder eine Studie, die die Kommunen daraufhin untersucht, wie gut sie die Biodiversität fördern?
Oder eine Studie, die untersucht, wie gut die Kommunen umsteuern, um die Erderhitzung zu stoppen?
Ich vermute, für solche Studien wäre es etwas schwieriger, die nötigen Finanzmittel aufzutreiben. Diese Interessen sind nicht so gut und finanzkräftig organisiert.
Wahrscheinlich wäre es auch aufwendiger, erst mal relevante Kriterien herauszuarbeiten. Und noch etwas stört mich.
Es wird zwar nicht ausdrücklich so formuliert, aber es wird sicherlich unterstellt und vor allem, die meisten Menschen glauben es auch: „Wenn es der Wirtschaft gutgeht, geht es uns allen gut.“
Ich möchte beileibe nicht das Gegenteil behaupten. Aber dass die Interessen der Wirtschaft mit dem übereinstimmen, was für alle Menschen zusammen gut ist – also an dieses Weihnachtsmärchen glaube ich zum Glück nicht mehr.
Denn so gut, wie die Wirtschaft insgesamt entwickelt ist: Da müsste es ja uns allen gut gehen und wir wären glücklich, die Natur wäre intakt und das Klima nicht gefährdet.
Und das ist ja offensichtlich so nicht.
Trotzdem brauchen wir natürlich die Wirtschaft – sie muss den Menschen dienen und die Natur respektieren.
Ich will mal einige Vorschläge machen, was man die einzelnen Gemeinden vergleichen könnte unter dem Aspekt, was sie gegen die Erderhitzung tun:
Wieviel Prozent der dafür geeigneten Dächer tragen Solaranlagen?
Wieviel Prozent der großen Parkplätze sind mit Solaranlagen überdacht?
Wieviel Prozent der dafür geeigneten Schallschutzwände?
Wieviel Prozent der dafür geeigneten Fassadenflächen?
Wie sicher, bequem und zügig können Radfahrer*innen sich bewegen – in und zwischen den Ortschaften?
Wie gut ausgebaut, bequem und preisgünstig ist der ÖPNV?
Wie niedrig sind die Feinstaub- und Stickoxidwerte?
Wie niedrig sind die Lärmpegel?
Wieviel Grün ist in den Ortskernen vorhanden und wie gut entsprechend das Kleinklima?
Wieviel Prozent der Öl- und Gasheizungen wurden schon ausgetauscht und durch Anlagen ersetzt, die Erd- oder Luftwärme nutzen?
Wieviel Prozent der Häuser sind schon so gut wärmegedämmt, wie es für diesen Haustyp möglich ist?
Das sind nur beispielhaft einige Fragen. Angesichts der drohenden Erderhitzung wäre eine solche Bestandsaufnahme sehr dringend, um – wie war noch das Interesse der IHK? – die politische Debatte im Vorfeld der Kommunalwahlen anzuheizen!
4.12.20 Platz für Gewerbe und für Wohnen von Otto Merkel
Unter diesem Titel schrieb der Südhessen Morgen dieser Tage „Jedes Jahr wächst der Bedarf an Gewerbeflächen in der Metropolregion um 62,5 Hektar, soviel wie etwa 90 Fußballfelder. Bis 2035 sollen es sogar 1500 Hektar sein.“ Dies ergab eine Studie, die der Verband Region Rhein-Neckar (VRRN) in Auftrag gegeben hatte, zur Vorbereitung der Fortschreibung des Regionalplan.
Wenn hier Platz für Gewerbe und Wohnen geplant wird – wo bleibt die Natur?
Ich denke, die Interessenvertreter und ihre Planer werden sich umgucken, wie andere schon jetzt.
– 2015 ist der Block 9 des Großkraftwerk Mannheim in Betrieb gegangen. Er kostete mehr als eine Milliarde! Er sollte bis 2055 laufen. Jetzt muss er spätestens 2034 abgeschaltet werden.
– Ein Block des Steinkohlekraftwerk Westfalen in Hamm wird im nächsten Jahr nach nur 6 Jahren Betriebszeit stillgelegt, wahrscheinlich eine der größten Fehlinvestitionen von RWE.
– Das Kohlekraftwerk Moorburg mit Block A und B in Hamburg wird ebenfalls nächstes Jahr stillgelegt, erst 2014 und 2015 wurden sie von Vattenfall in Betrieb genommen.
Wenn man korrekt ist, geht es nicht genau um dieselbe Sache. Bei den Kraftwerken sind es die Erderhitzung, das Pariser Klimaabkommen und die halbherzigen Beschlüsse auf Bundesebene, weswegen sie abgeschaltet werden.
Bei der geplanten weiteren Flächenversiegelung geht die Biodiversität den Bach runter.
Man kann sich darüber streiten, welches die größere Katastrophe ist, die da im Gang ist und noch viel massiver auf uns zukommt. Aber es sind beides globale Katastrophen.
Und die zugrundeliegenden Treiber sind dieselben: Wachstum über alles, egal, wie die Natur dabei kaputt geht.
Wer sagt das den verantwortlichen Herren?
27.7.20 Chance und Risiko! von Otto Merkel
Bisher nicht abgedruckter Leserbrief zu dem BA-Artikel Kreis Bergstraße wird „Ökomodellregion“ vom 21.7.20
Es ist auf jeden Fall eine Chance, dass unser Landkreis jetzt auch Ökomodellregion geworden ist. Projekte zur Ökologisierung der Landwirtschaft und regionalen Vermarktung können damit gefördert werden. Was genau möglich wird, da ist sicherlich noch vieles offen. Das Risiko besteht jetzt erst mal darin, dass der Landrat das Ganze für seinen Wahlkampf nutzt. So tut er in dem Artikel so, als ob der Landkreis einen Wettbewerb gewonnen hätte. Was einfach Unsinn ist, denn alle Landkreise sind jetzt zu Ökomodellregionen geworden. Wahrscheinlich war es eher so, dass die grüne Ministerin Priska Hinz merkte, dass sie zulegen muss, um die selbstgesteckten Ziele von mehr Ökolandbau in Hessen auch zu erreichen und deshalb die Bedingungen, Ökomodellregion zu werden so runtergesetzt hat, dass es schließlich gelang, alle Landkreise zu Ökomodellregionen zu erklären. Da kam selbst unser Landrat nicht drumherum, mitzumachen. Und jetzt schmückt er sich damit, als ob damit eine besondere Leistung erbracht worden wäre. Und er gibt dem Ganzen gleich einen Drive, seine Lieblingsideen von „innovativer Zukunftstechnologie“ und der „Digitalisierung der Landwirtschaft“ in den Vordergrund zu stellen. Bei der ersten Ausschreibung von Ökomodellregionen ist er mit der Idee, dass mit innovativer „Technik der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln reduziert werden“ kann, gescheitert. Der Kreis Bergstraße kam nicht in die Modellförderung, weil dieser Ansatz keine ausreichend nachhaltige Ökologisierung der Landwirtschaft darstellt. Und jetzt lanciert er wieder diese Idee! Hoffen wir, dass eine kompetente Koordinatorin für das Modellprojekt eingestellt wird und dass viele an Ökologisierung und regionaler Vermarktung interessierte Landwirte, Vermarkter und BürgerInnen sich engagieren, damit die Chancen der Modellförderung gut genutzt werden.
10.7.20 Photovoltaik und Landwirtschaft kombinieren! von Otto Merkel
Energieried, GGEW und Entega planen in Lampertheim eine große Photovoltaikanlage auf einer Fläche, das zurzeit Ackerland ist. In einem ersten Anlauf sind sie am Bürstädter Gemeinderat gescheitert. Bürstadt besitzt eine Sperrminorität bei Energieried, deshalb hat Bürstadt mitzureden. Inzwischen sind neue Gespräche geführt wurden, die den Planern Hoffnung machen, ihr Projekt doch noch durchzubekommen.
Zu den entsprechenden Artikeln im Bergsträßer Anzeiger habe ich folgenden Leserbrief geschrieben:
Es wird nicht ganz klar, ob die Planer bei Energieried, GGEW und Entega und vor allem die KommunalpolitikerInnen in Lampertheim und Bürstadt bedacht haben, dass es inzwischen auch Photovoltaik gibt, die mit landwirtschaftlicher Bewirtschaftung verbunden werden kann, sogenannte Agrohotovoltaik. Es handelt sich um hochgeständerte Photovoltaikanlagen, die auch mehr Abstand voneinander haben, so dass man auch mit großen Maschinen drunter durchfahren und den Boden bewirtschaften kann, nicht nur, dass einige Schafe grasen können. Zugegebenermaßen ist diese Methode noch wenig verbreitet und es gibt überwiegend Versuchsanlagen dazu. Man hat festgestellt, dass bestimmte Pflanzen, z.B. Sellerie, Weizen und Kartoffeln, bei einer solchen teilweisen Verschattung sogar höhere Erträge erbringen. Diese Solaranlagen sind teurer und erbringen weniger Ertrag, aber kombiniert mit dem landwirtschaftlichen Ertrag lohnen sie sich. Und vor allem: die Flächen werden nicht der landwirtschaftlichen Produktion entzogen und bringen Solarstrom. Man sollte solche Möglichkeiten prüfen!
31.5.20 Wirologen empfehlen von Otto Merkel
Führende Wirologen empfehlen:
Die Pandemie des andauernden Wachstums und der Naturzerstörung muss dringend bekämpft und eingedämmt werden.
Durch eine Mutation entstand ein Virus, das immer größere Mengen an Kapital, an Profit und damit an Macht bei wenigen Menschen anhäuft. Die Krankheitsverläufe sind oft sehr schwerwiegend und kaum heilbar. Es werden nicht nur die Konten der betroffenen Menschen befallen, sondern oft noch andere Körperteile, insbesondere das Gehirn.
Die schwerwiegenden Krankheitsverläufe müssen identifiziert und isoliert werden.
Die öffentliche Länderberichterstattung der Konzerne ist dazu wichtig. Dadurch können die Hotspots der Gewinnverschiebungen identifiziert und bekämpft werden.
Das Erstaunliche: Wirksame Arzneien sind bekannt, nicht eine allein, sondern eine ganze Palette von Arzneimitteln müssen verabreicht werden.
Durch wirksame Besteuerung großer Einkommen, Vermögen und Erbschaften muss der Reproduktionsfaktor R deutlich unter 1 gedrückt werden, d.h. die großen Vermögen müssen kleiner werden.
Auch eine Finanztransaktionssteuer hat sich in klinischen Studien als signifikant wirksam erwiesen. Und es gibt noch Vieles mehr.
Aber noch erstaunlicher: Die Kranken wollen sich gar nicht heilen lassen. Sie glauben, sie seien gesund. Und sie sind mächtig und schlau und entziehen sich bisher einer Behandlung. Sie wollen uns sogar glauben machen, es wäre für uns alle schlecht, wenn man sie heilen würde.
Wirologen jedoch halten die Entwicklung einer Gemeinwohlökonomie zur Eindämmung dieser Pandemie für zwingend notwendig, entsprechend dem fundamentalen Grundsatz der Wirologie: „Ein gutes Leben für alle!“
23.2.20 Photovoltaik in Bensheim von Otto Merkel
Gleich zwei Anträge zur Förderung der Photovoltaik gab es am 13.2.20 in der Stadtverordnetenversammlung. Der eine von der Grünen Liste Bensheim initiiert zusammen mit CDU, SPD und FWG. Und der andere von den Bürgern für Bensheim allein.
Ich war bei der Stadtverordnetenversammlung, um mir anzuhören, wie über Photovoltaik geredet und entschieden wird.
GLB, CDU, SPD und FWG beantragten, auf einer Freifläche westlich der Autobahn gegenüber der Raststätte Bergstraße, die durch Flächentausch in den Besitz der Stadt gekommen ist, bis zu 4 Meter hochgeständerte Photovoltaik-Module aufzustellen, so, dass darunter Gras wachsen und Schafe weiden können. Doris Sterzelmaier von den Grünen begründeten dies mit vielen großen Worten und Hinweisen, dass dies eine folgerichtige Fortsetzung ihrer seitherigen Politik darstelle. Die CDU machte ebenfalls viele große Worte, SPD und FWG äußerten sich nur knapp und zustimmend. Ulrike Vogt-Saggau äußerte für die Bürger für Bensheim ihre Zustimmung, aber mit dem – meines Erachtens zutreffenden – Hinweis, Photovoltaik auf Freiflächen sei nur zweite Wahl gegenüber Photovoltaik auf eh schon versiegelten Flächen. Die FDP sprach sich lustigerweise dagegen aus, weil Photovoltaik in der Natur problematisch und auf versiegelten Flächen viel besser sei. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit beschlossen.
Der Antrag der Bürger für Bensheim ging weiter. Als erstes soll der Magistrat einen Plan für die Realisierung größere Solaranlagen auf Dachflächen und über (Park-)Plätzen erstellen. Das klang, wie wenn man der Verwaltung nicht so recht traut, dass sie ihren Aufgaben gut nachkommt. Konkret weiß ich nicht, ob diese Skepsis berechtigt ist. Aber es ist häufige Erfahrung, dass die Verwaltung in Routine erlahmt. Zum zweiten soll der Magistrat eine „enge Zusammenarbeit mit der BürgerSolarBeratung für die Werbung für Photovoltaik-Anlagen auf privaten Dachflächen“ eingehen. Stadtrat Oyan meinte, sie arbeiteten mit der BürgerSolarBeratung (http://www.buergersolarberatung.de) zusammen, insofern sie Bürger*innen, die zur Beratung oder Antragsstellung für einen Zuschuss für eine Solaranlage ins Rathaus kommen, auf die zusätzlich mögliche Beratung durch die BürgerSolarBeratung hinweisen würden. Damit redete er haarscharf am Thema vorbei. Nun gut, vielleicht wollte er nichts zum Thema sagen, aber es wirkte so, als ob damit der Antrag überflüssig sei.
Und als drittes, der Magistrat soll einen „Solar-Rat“ einberufen.
Ulrike Vogt-Saggau machte für die Bürger für Bensheim deutlich, dass bei allem, was schon dankenswerterweise getan wurde, die Ergebnisse bisher noch sehr dürftig seien: Es werden erst 1,7% des Bensheimer Stromverbrauchs mit Bensheimer Solaranlagen erbracht. Man könne durch gute Ausnutzung von Dachflächen in Bensheim auf 50-60% kommen! Das zeige die Wichtigkeit, aktiv bei Bürger*innen dafür zu werben!
Gegen den Antrag wurde argumentiert im Sinne von: überflüssig, läuft doch alles schon, die Verwaltung macht doch schon alles, was geht, so einfach sei es ja nicht, Photovoltaik auf Dächer zu bauen (Statik!) und was die Privatleute machen, sei eh deren Sache und Räte als unverbindliche Laber-Gremien gebe es schon mehr als genug.
Mein Eindruck insgesamt:
Den Grünen gelang es, realpolitisch eine ausreichende Mehrheit für einen Schritt vorwärts zu organisieren. Das war gut!
Dass der Antrag der Bürger für Bensheim derart niedergemacht wurde, fand ich verheerend, insbesondere die Ablehnung einer Werbekampagne für Photovoltaikanlagen auf Privathäusern. Wenn man das eine oder andere bei einem Antrag für etwas unausgegoren hält, so gibt es schließlich immer noch die Möglichkeit, einen Antrag in die Ausschüsse zu verweisen, statt ihn vollständig abzulehnen. Aber die Mehrheit lehnte ab.
Ich stell mir vor: Die Verwaltung wirbt intensiv und unermüdlich dafür, dass Firmen und Privatleute ihre Dächer mit Photovoltaik bestücken. Sie arbeitet, wo immer möglich, dazu mit kompetenten und engagierten Bürger*innen zusammen. Sie geht selber zügig und kreativ mit eigenen Flächen voran, macht öffentlich, wie viele Bürger*innen zur Energieberatung kommen, wie viele Anträge auf Zuschüsse bei ihr eingehen, sie „klagt“ über die Antragsflut und fordert ggf. zusätzliche Mittel und Personal ein. Und Stadtverordnete reden ehrlicher, auch selbstkritischer und so, dass man spürt, sie haben verstanden, welch große Aufgabe die Energiewende und der Klimaschutz bedeuten, dass da nämlich noch viel mehr als seither zu tun ist. Das spürte ich bei dieser Sitzung nur sehr vereinzelt. Am meisten bei Ulrike Vogt-Saggau von den Bürgern für Bensheim und mit Einschränkungen bei Doris Sterzelmaier von den Grünen, mit Einschränkungen, weil sie hauptsächlich die Kontinuität der seitherigen Politik der Koalition betonte, aber nicht recht erkennbar war, dass eigentlich noch viel mehr zu tun wäre.
8.2.20 Landrats-Aikido von Otto Merkel
Beim Aikido ist es so: Wenn mich jemand körperlich angreifen will, so nehme ich zwar mit dem Angreifenden Kontakt auf, gehe aber nicht direkt dagegen, sondern weiche aus, lenke den Angriff so um, dass ich die Energie des Angriffs gegen den Angreifenden wende und ihn aus dem Gleichgewicht bringe.
Der Landrat scheint diese Methode zu beherrschen. Ich weiß nicht, wo er trainiert.
Im letzten Frühjahr/Sommer kam durch die Fridays for Future überraschend viel in Bewegung. Auch in einer Stadt wie Bensheim demonstrierten Hunderte! Und lauter junge Leute! Keiner hätte das vorher so gedacht. Die Grüne Jugend griff das auf, startete eine Petition, dass der Kreistag den Klimanotstand ausrufen soll. Die Grüne Fraktion übernahm die Forderung als Antrag in den Kreistag. Katja Knoch initiierte mit Erfolg das Klimabündnis Bergstraße. Auch die SPD war angesteckt und griff dies auf, allen voran Karsten Krug, Dezernent im Kreis. Da musste auch die CDU und der Landrat geschmeidig mitgehen. Die Koalition im Kreistag stellte einen modifizierten, die ganze Sache etwas abschwächenden Antrag, der dann auch in großer Einmütigkeit (CDU, SPD, Grüne, FWG, Linke) beschlossen wurde. Wobei schon damals der Landrat eine Rede hielt und eine ellenlange Reihe von Dingen aufzählte, was der Landkreis ja schon alles macht, aber Bereitschaft zeigte, doch das eine oder andere noch hinzuzufügen oder zu intensivieren.
Inzwischen hat der Landrat und die politischen Vertreter, die das bürokratische Weiter-So lieben, wieder Tritt gefasst. Bei der anstehenden Einladung zu dem damals beschlossenen Nachhaltigkeitsbeirat ließ der Landrat sich beraten und lud ein sehr breites Spektrum an Personen ein, von Seiten der Klimaschutzbewegung und des Naturschutzes hauptsächlich schon langjährig bekannte Vertreter und ausdrücklich nicht die Initiatorin des Klimabündnisses, Katja Knoch. Und er schlägt eine breite Palette von Themen vor, nämlich die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN. Wahrscheinlich nach der Erfahrung: Wenn man über sehr Vieles redet, kommt wahrscheinlich wenig Klares raus.
So hat er die Weichen für das Weiter-So gestellt.
Noch eine Episode im Kleinen:
Schüler*innen der Geschwister-Scholl-Schule gingen auf den Landrat zu mit dem Anliegen, eine Solaranlage auf dem Dach ihrer Schule zu errichten. Offensichtlich war das überraschend und vor allem, dass es von Schüler*innen kam, so dass der Landrat geschmeidig reagieren musste und zustimmte. Auch dazu, dass die Energiegenossenschaft Starkenburg das Projekt realisieren darf.
Aber auch nach diesem „Angriff“, den er geschmeidig parierte, konsolidierte er seine Position. Zukünftige Projekte auf Schuldächern übernimmt der Kreis selber und das Potential wird erst einmal mithilfe einer Bachelor-Arbeit untersucht. Damit hat man erst mal wieder Ruhe im Karton für einige Monate und die Kapazitäten der Kreisverwaltung, nun ja, da geht dann alles wieder seinen ruhigen bürokratischen Gang.
Im Aikido gibt es eine Steigerung im Schwierigkeitsgrad: Mehrere Personen greifen eine einzelne Person an, aus unterschiedlichen Richtungen und schnell hintereinander. Ein Könner wehrt sie alle ab und schmeißt sie auf die Matte.
Ob unser Landrat auch so ein Könner ist? Wir können es ja testen!
Sorgen wir für unterschiedliche Initiativen!
Gucken wir, dass sie recht schnell eine nach der anderen kommen!
Finden wir überraschend neue Akteure!
Und wenn viele Menschen beteiligt sind, ist es noch besser!
13.1.20 Können die Klimaziele überhaupt erreicht werden, ohne dass die Wirtschaft zusammenbricht und unser ganzer Wohlstand flöten geht? von Otto Merkel
Wenn Du Dir darüber ernsthaft Gedanken machst, so hast Du Gelegenheit, am 9.3.20 in der Kübel-Schule in Bensheim einen prominenten Vertreter der Postwachstumsökonomie oder des Degrowth-Ansatzes live anzuhören, nämlich Niko Paech.
Wenn Du bereit bist, sogar schwere wissenschaftliche Kost zu Dir zu nehmen, so kannst Du Dir auch von der Webseite des Bundesumweltamtes die Studie
Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen.Der Ansatz einer vorsorgeorientierten Postwachstumsposition. (194 Seiten)
herunterladen.
Niko Paech ist jemand, der sehr entschieden die Auffassung vertritt, dass es nicht damit getan ist, umweltfreundlichere Energie zu beziehen oder ressourcenschonendere Geräte zu benutzen. Die Klima- und Umweltkrise lässt sich nicht mit Technologie lösen, sondern nur dadurch, dass wir unseren Lebensstil ändern. Denn was bringt es, wenn wir eine Solaranlage auf unser Dach bauen lassen, aber jedes Jahr mit dem Flugzeug in Urlaub oder sogar nach Übersee fliegen. Es kommt drauf an, wieviel CO2 wir pro Person ausstoßen, nicht wieviel für die Herstellung oder das Benutzen eines Geräts ausgestoßen wird. Denn die Tendenz, immer mehr zu konsumieren, ist offensichtlich. Die Wirtschaft darf nicht mehr weiterwachsen, muss sogar schrumpfen, in einem hochindustrialisierten Land wie Deutschland. Das gesellschaftliche Wohlergehen kann trotzdem gehalten werden: weniger Erwerbsarbeit, Geld und Konsum, dafür mehr Zeit für selbstbestimmte Tätigkeiten, Freizeit und soziale Kontakte. Und Menschen müssen selber Schritte unternehmen in diese Richtung.
Das ist kurz zusammengefasst in etwa die Degrowth-Position.
Wem es dabei etwas mulmig wird, neigt vielleicht mehr zur Position des „Green Growth“.
Damit ist die Auffassung gemeint, dass die Wirtschaft ruhig weiterwachsen kann, aber sie muss dazu gebracht werden, umweltschonendere Technologien zu entwickeln und zu verwenden. So können wir unseren Wohlstand beibehalten und trotzdem die Klimaziele erreichen.
Dazu neigt die Politik eher.
Meiner Meinung nach neigt die Politik dazu aber eher nur in Worten oder nur in den Überschriften oder allgemeineren Floskeln. Ich finde es oft schwer auseinanderzuhalten, inwieweit Politiker nur so reden, um gut dazustehen und die Leute zu beruhigen oder inwieweit sie auch auf einer konkreten Ebene tatsächlich das Ziel verfolgen, die Klimaziele einzuhalten.
In der genannten Studie wird unter „Green Growth“ ein Konzept verstanden, womit man tatsächlich und ernsthaft anstrebt, die Klimaziele zu erreichen, nicht die oft wolkigen Formulierungen von Politikern.
Aber trotzdem: Wird dies gelingen? Und wie?
Ist es zwingend erforderlich ist, dass die Wirtschaft schrumpfen muss, um die Klimaziele zu erreichen (wie der Degrowth-Ansatz sagt)? Wir wissen es nicht, sagt die Studie.
Oder kann die Wirtschaft weiterwachsen und trotzdem die Klimaziele erreichen (wie der Green-Growth-Ansatz sagt)? Anders gesagt: Kann es gelingen, das Wirtschaftswachstum von den schädlichen ökologischen Auswirkungen zu entkoppeln und zwar ausreichend und schnell genug zu entkoppeln? Das wissen wir auch nicht, so die Studie.
Jetzt könnte man denken: Dann sind ja alle Klimaschutzmaßnahmen umsonst. Dann machen wir am besten gar nichts.
Oder: Unseren Wohlstand zu riskieren, das wollen wir auf keinen Fall. Dann nehmen wir lieber die Klimaveränderungen in Kauf.
Aber beides wäre natürlich Unsinn, denn die Klimaveränderungen werden ihren immer katastrophaleren Verlauf nehmen, ob es uns passt oder nicht.
Die Autoren der Studie meinen, dass wir mit der Ungewissheit umgehen müssen und trotzdem unsere Wirtschaft und Gesellschaft so verändern müssen, dass „die planetaren Grenzen“, wie sie sagen, eingehalten werden und „zentrale Prinzipien sozialer Gerechtigkeit“ beibehalten werden. Sie nennen ihre Position „vorsorgeorientierte Postwachstumsposition“.
In einer Grafik lassen sich die verschiedenen Auffassungen so darstellen:

BIP = Bruttoinlandsprodukt
Mit „Postwachstum“ meinen die Autoren ihre „vorsorgeorientierte Postwachstumsposition“. Was üblicherweise unter Postwachstumsökonomie verstanden wird, fassen sie unter „Degrowth“ zusammen!
Wer sich gründlicher mit den verschiedenen Auffassungen, ihren Begründungen und wie fundiert diese sind, befassen möchte, dem sei diese Studie empfohlen. Sie gibt zumindest einen groben Überblick, halt eben in der üblichen wissenschaftlichen Sprache. Die Autoren argumentieren m.E. sehr vorsichtig. Wenn empirische Ergebnisse zu einer Aussage nicht so eindeutig sind oder nur wenige Untersuchungen vorliegen, so sagen sie lieber: man kann es nicht sagen.
Die Autoren schlagen zum Schluss folgende Maßnahmen vor:
1. Die Politik sollte die ökonomischen Rahmenbedingungen so verändern, dass umweltschädliche Auswirkungen in die Preise hineingenommen werden, etwa durch eine CO2-Steuer oder durch CO2-Zertifikate.
2. Man sollte neue Pfade der gesellschaftlichen Entwicklung mit Beteiligung der Bürger*innen ausprobieren, also soziale Experimente ermöglichen. Denn wir wissen oft nicht, was wirklich weiterführt und deshalb macht es Sinn, etwas zuerst im kleineren Rahmen auszuprobieren.
3. Sie legen ausführlich dar, dass unser Renten- und unser Gesundheitssystem nur funktioniert, wenn die Wirtschaft andauernd weiterwächst. Deshalb sei es sehr wichtig, alles dranzusetzen, solche zentralen Institutionen so zu verändern, dass sie auch ausreichend funktionieren, wenn die Wirtschaft nicht weiterwächst oder vielleicht sogar schrumpft. Ansonsten sei das gesellschaftliche Wohlergehen gefährdet.
Ihre Handlungsvorschläge sind sehr allgemein. Die sehr wichtige Frage, ob es nötig ist, dass die Politik bestimmte Dinge einfach auch verbietet und in welchem Ausmaß, behandeln sie gar nicht. Da waren sie sich wohl nicht einig.
Man sollte also nicht zu viel von dieser Studie erwarten.
29.12.19 Was muss jetzt kommen: Widerstand oder Law and Order? von Otto Merkel
Gedanken zu dem gleichnamigen Artikel von Martin Unfried in der Zeitschrift Futur Zwei, Nr. 11, S. 32-35
Die zentrale Argumentation dieses Artikels ist: Egal wie dramatisch die Klimakrise ist, unsere demokratische Verfasstheit darf nicht infrage gestellt werden. Meint: Das Parlament macht Gesetze, die Regierung führt sie aus und die Gerichte wachen darüber. So unvollkommen das sein mag und so bitter es ist, wenn aus unserer Sicht die falschen – sogar verheerend falschen – Dinge beschlossen und entschieden werden. Diese Demokratie und diese offene Gesellschaft ist von grundlegendem Wert und muss verteidigt werden.
Es ist somit nicht akzeptabel, wenn die Bewegung Extinction Rebellion sich auf einen höheren Wert beruft und von diesem aus die Legitimität des Parlaments infrage stellt.
Denn es könnte passieren, dass die AfD in ähnlicher Weise sich auf einen höheren Wert beruft und z.B. gegen Windkraft rebelliert. Und was sagen wir dann?
Also müssen wir die Legitimität des Parlaments verteidigen, egal was es beschließt.
Das ist auch der positive Unterschied der Fridays for Future, dass sie von der Politik fordern, den Pariser Vertrag, der ja offiziell beschlossen ist, auch einzuhalten – im Unterschied z.B. zu der 68-er Bewegung, die den Staat bekämpfte.
Die Auseinandersetzungen müssen mit dem Ziel geführt werden, dass die Regierung, das Parlament die für den Klimaschutz notwendigen Dinge beschließt und die müssen dann auch durchgesetzt werden. Gesetze und die Ordnung müssen durchgesetzt werden. Mit ein Grund, diese Autoritäten nicht anzugreifen. Und natürlich auch, um die Demokratie und die offene Gesellschaft zu erhalten, eine Diktatur abzuwehren, auch bei krisenhaften Entwicklungen.
Soweit ein Hauptgedanke dieses Artikels, dem ich weitgehend zustimmen kann.
Aber mir fehlt da einiges.
In der linken Tradition gibt es die Sichtweise – und die finde ich im Kern immer noch überzeugend – dass es in unserer Gesellschaft eine Machtzusammenballung gibt, die ihre Macht gerade auch dazu nutzt, diese Zusammenballung von Macht zu verschleiern und es dadurch den Menschen schwer macht, ihre eigenen Interessen realistisch wahrzunehmen und entsprechend für sie einzutreten. Dass die Rechte eine ähnliche Argumentation benutzt, macht diese Sichtweise ja nicht einfach falsch.
Es ist meines Erachtens völlig in Ordnung, dass eine Bewegung sich auf einen höheren Wert beruft, den sie in der gegenwärtigen Politik unbeachtet oder nur am Rande berücksichtigt findet und ich glaube, dass gerade daraus eine Bewegung auch ihre Kraft gewinnt. Soweit ich einen Überblick habe, ist das sogar typisch für Bewegungen.
Dass sich daraus und aus der erlebten Ohnmacht auch Vorstellungen ergeben, den Staat oder die Polizei oder das Parlament abzuschaffen oder zumindest zu entmachten, sollte von professionellen Durchblickern erstmal in seinem Kontext gut verstanden und nicht gleich abgelehnt werden.
In dem Maße, indem eine Bewegung an Einfluss gewinnt, sind diese Punkte natürlich kontrovers zu diskutieren. Aber dies zu einem Zeitpunkt in den Mittelpunkt zu stellen, in dem die Klimabewegung ja noch viel zu wenig erreicht hat – bezogen auf das, was nötig ist – also leider noch recht ohnmächtig ist, halte ich das für unpassend.
Denn was bleibt an Möglichkeiten?
Wir haben ja die Situation, wo sich offensichtlich viele Aktivisten der Fridays for Future fragen, ob es Sinn macht, angesichts des geringen Erfolgs so weiter zu machen wie seither. Einige neigen wohl zu Aktionen des zivilen Widerstands, andere rufen dazu auf, in Parteien zu gehen, wieder andere sind vielleicht ratlos oder resignieren womöglich.
In dieser Situation sagt ein Profi wie Martin Unfried: Ihr liegt richtig darin, eure Forderungen an die Politik zu richten und damit deren Legitimität anzuerkennen und es wäre falsch, diese infrage zu stellen.
Ja, was folgt daraus? Was sollte man dann tun?
Anders und noch kürzer formuliert die Hauptaussage dieses Artikels:
Der Vater sagt zur Tochter: „Werde ja nicht so radikal! Denk an unsere Demokratie und auch den Staat brauchen wir, richtigen Klimaschutz durchzusetzen.“
Fragt die Tochter: „Was soll ich dann machen?“
Sagt der Vater: „Weiß ich auch nicht.“
Sag ich: „So ist es wohl.“